Nach dem 11. September 2001 hat es auf dem Boden der USA keinen terroristischen Anschlag mehr gegeben. Und doch wagt niemand, einen Sieg im Kampf gegen den Terrorismus zu erklären. Ganz im Gegenteil: Die Abwehrkräfte der USA sind alles andere als perfekt. Terroristen könnten geduldig auf den richtigen Moment warten, um zuzuschlagen. Und wenn sie es tun, so fürchten einige, könnte das Resultat verheerender sein als vor zwei Jahren.
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"Ich bin überzeugt, dass wir noch nicht das Ende des Terrorismus gegen unsere Bürger erlebt haben, und ich glaube, diese Meinung teilt jeder, mit dem ich gesprochen habe", sagt der ehemalige Senator Warren Rudman, Vorsitzender einer Expertenkommission. Zwar gebe es beachtliche Fortschritte im Hinblick auf die Abwehr von Terrorangriffen, aber es müsse noch viel mehr getan werden, fordern Rudman und andere Fachleute. Früher habe es gar keinen Heimatschutz gegeben, jetzt sei er dürftig, urteilt Terrorismus-Experte Daniel Bymann. "Ich würde sagen, das ist schon ein Riesenschritt."
Um die USA gegen mögliche weitere Anschläge zu verteidigen, hat die Regierung die Behörde für Heimatschutz gegründet - unter ihrem Dach sind fast ein Dutzend früher getrennte Behörden und 170.000 Mitarbeiter vereint. Auch die Bundespolizei FBI widmet sich stärker dem Kampf gegen den Terrorismus. Und die Geheimdienste haben nach eigenen Angaben den Informationsaustausch verbessert. Die Sicherheitskontrollen auf den Flughäfen wurden verschärft, Cockpit-Türen verstärkt, und Passagiere sind wachsamer. All das macht es weniger wahrscheinlich, dass Terroristen noch einmal Flugzeuge entführen und in Gebäude steuern. Doch sie könnten auf andere Weise zuschlagen.
Der nächste Anschlag könnte beispielsweise einer Chemiefabrik oder einem Atomkraftwerk gelten. Anthrax oder Sarin könnten große Bürogebäude oder U-Bahn-Schächte verseuchen. Selbstmordattentäter könnten sich in einer Menschenmenge in die Luft sprengen. Und all diese Anschläge könnten zeitgleich verübt werden, um Polizei, Rettungsdienste und Krankenhäuser zu überfordern. "Zwei clevere Leute, die zwei Stunden lang in einem Raum sind, können sich hundert wirklich Furcht erregende Dinge ausdenken", sagt Byman.
Führende Vertreter der US-Regierungen warnen immer wieder davor, dass weitere Terroranschläge auf die USA wahrscheinlich sind. Die Alarmstufen schwanken zwischen gelb und orange, Nummer drei und vier auf einer fünfstufigen Skala. El Kaida ist zwar angeschlagen, nicht aber zerstört. Aktivisten und Sympathisanten des Terrornetzwerks werden für Anschläge auf westliche Ziele in der ganzen Welt verantwortlich gemacht. Osama bin Laden ist untergetaucht, und der US-Geheimdienst CIA schätzt, dass in Afghanistan etwa 15.000 bis 20.000 Terroristen ausgebildet wurden. Selbst wenn El Kaida ausgelöscht werden könnte, gäbe es nach wie vor andere Terrorgruppen, die den Wunsch und die Mittel haben, Amerikaner zu töten.
Ein Untersuchungsausschuss des Kongresses, der sich mit den Anschlägen vom 11. September beschäftigte, empfahl die Ernennung eines nationalen Geheimdienstchefs auf Kabinettsebene. Doch dieser Vorschlag wurde - wie die meisten anderen - nicht umgesetzt. Offen ist außerdem, zu welchen Zugeständnissen die Amerikaner im Kampf gegen den Terrorismus bereit sind. Größere Sicherheit bedeutet unweigerlich größere Opfer: längere Schlangen an den Flughäfen, mehr Staus, weitergehende Eingriffe des Staates in die Privatsphäre. "Es ist sehr wichtig zu erkennen, dass absolute Sicherheit in einer freien Gesellschaft nicht möglich ist", sagt der frühere Gouverneur von Virginia, James Gilmore, Leiter einer vom Kongress eingesetzten Anti-Terror-Kommission.
Doch nicht nur die Sorge um die Bürgerrechte setzt dem Kampf gegen den Terrorismus Grenzen. Die Polizei kann nicht jedes potenzielle Ziel bewachen. Zollbeamte können nicht jedes Paket kontrollieren. Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde können nicht die Absichten aller einreisenden Personen erraten. "Es ist leicht gesagt, dass wir verhindern müssen, dass so etwas jemals wieder passiert", sagt Exsenator Rudman. "Aber es ist unrealistisch."