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Abstrich besiegt Tod

Von Froben Homburger

Wissen

Im Kampf gegen eine der heimtückischsten Tumorerkrankungen steht die Medizin vor dem Durchbruch: Wissenschafter in Oslo haben erstmals nachgewiesen, dass sich der Mundhöhlenkrebs mit einer simplen DNS-Analyse schon im Vorstadium entdecken und daher heilen lässt. Damit könnte der weltweite Vormarsch dieses gefürchteten Tumors gestoppt werden, an dem allein etwa in Deutschland jährlich rund 10.000 Menschen erkranken. Mehr als die Hälfte von ihnen stirbt binnen fünf Jahren. Hauptgrund: Der Krebs wird zu spät entdeckt.


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Seit den siebziger Jahren nehmen Tumorerkrankungen des Gaumens, der Zunge, des Mundbodens, der Lippe, der Speicheldrüsen und des Rachens stetig zu. Knapp drei Viertel der weltweit 300.000 Patienten sind Männer, viele von ihnen starke Raucher und Trinker im Alter von 50 bis 60 Jahren. Einen Zusammenhang gibt es auch mit permanenten Druckstellen durch schlecht sitzende Zahnprothesen. Doch auch immer mehr junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren erkranken an Mundhöhlenkrebs, wie Ärzte mit Sorge beobachten. "Der Trend ist europaweit eindeutig, über die Ursachen rätseln wir noch", sagt Albrecht Reith vom Radium Hospital in Oslo.

Das Leiden der Patienten ist enorm: Essen, Sprechen, Schlucken und Atmen fällt ihnen immer schwerer, und die radikale Entfernung des Tumorgewebes entstellt häufig ihr Gesicht. Mundhöhlenkrebs gilt als besonders heimtückisch, da er lange keinerlei Beschwerden verursacht. Erste Warnzeichen sind Schleimhautveränderungen wie die so genannten Leukoplakien und die Erythroplakien. Im günstigsten Fall entdeckt der Zahnarzt bei Routineuntersuchungen die weißen oder roten, nicht abwischbaren Flecken, die in zehn Prozent der Fälle zu Krebs führen.

Schon in den achtziger Jahren entwickelte der Direktor des Instituts für Cytopathologie am Uniklinikum Düsseldorf, Alfred Böcking, eine Messtechnik zur Krebsfrüherkennung: Dazu muss bei Leukoplakie-Patienten lediglich mit Hilfe einer kleinen Bürste ein Abstrich der Schleimhaut gemacht und deren Genstruktur untersucht werden. Bereits die Menge an DNS zeigt den Medizinern, ob es sich um eine Krebsvorstufe handelt.

"Diese Methode hätte schon längst Standard sein und vielen Patienten das Leben retten können", sagt Böcking. Doch so einfach die DNS-Zytometrie ist, so wenig hat sie sich bisher durchgesetzt. Zweifel an ihrer Wirksamkeit verhinderten bisher den Durchbruch. Das dürfte sich mit der im renommierten "New England Journal of Medicine" veröffentlichten Studie aus Oslo nun ändern.

Die Forscher um den Deutschen Reith und den Norweger Jon Sudboe hatten 150 Leukoplakie-Patienten untersucht. Die DNS-Analyse der erkrankten Mundschleimhaut ergab: Von den 103 Testpersonen mit einem normalen DNS-Gehalt erkrankten nur drei an Krebs. Bei den Patienten mit einem um das Doppelte erhöhten DNS-Gehalt entwickelte sich dagegen in 20 Fällen oder 60 Prozent ein Tumor. Und von jenen 27 Testpersonen mit einer noch stärker veränderten DNS-Struktur erkrankten sogar 21 Menschen oder 84 Prozent an Mundhöhlenkrebs.

"Ich hoffe, dass mit diesen überzeugenden Zahlen der Widerstand gegen die DNS-Analyse bei Leukoplakien endgültig gebrochen ist", sagt Reith. Er ruft alle Zahnärzte auf, die Mundschleimhaut ihrer Patienten sorgfältig auf weiße und rote Flecken zu untersuchen und im Fall der Fälle sofort einen Abstrich zu veranlassen. Sollte dessen Untersuchung einen krankhaften DNS-Gehalt ergeben, kann der Patient gezielt behandelt werden:

Die betroffenen Schleimhautstellen werden unter lokaler Betäubung entfernt. Verbunden mit einer präventiven chemischen Behandlung wird der Krebs nach Angaben der Experten damit noch im Vorstadium sicher und für immer vernichtet.

"Jetzt können wir sowohl die Häufigkeit als auch die Sterberate von Mundhöhlenkrebs deutlich senken", sagt Reith. Auch Böcking ist überzeugt davon, dass sich die Zahl vor allem der tödlichen Fälle nun drastisch reduzieren lässt.