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Absurder Ruf nach Referendum

Von Martyna Czarnowska

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In Bulgarien fordern Nationalisten eine Volksabstimmung über den möglichen EU-Beitritt der Türkei.


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Im Sonnenlicht glitzern die Blechdächer der Gotteshäuser silbern. Immer wieder blitzen sie in den Ortschaften rund um Kardjali auf, im Südosten Bulgariens, rund 50 Kilometer von der griechischen und keine 100 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Doch es sind nicht nur orthodoxe Zwiebeltürmchen, die sich zwischen den sanften grünen Hügeln der Rhodopen erheben. Es sind Minarette.

In Bulgarien mit seinen etwa acht Millionen Einwohnern ist jeder Zehnte türkischer Abstammung. Doch die Menschen sind keine Gastarbeiter, die vor ein paar Jahrzehnten ins Land geholt wurden. Ihre Familien lebten schon vor Jahrhunderten hier. Bis 1878, bis zur Befreiung Bulgariens vom "türkischen Joch", wie es teils bis heute heißt, erstreckte sich das Osmanische Reich tief in den Balkan hinein.

Die Beziehungen der nunmehrigen Nachbarstaaten haben sich mittlerweile normalisiert. Sie haben auch besondere Verflechtungen: Noch immer leben in der Türkei zigtausende türkische Bulgaren, die wegen der Zwangsbulgarisierung in kommunistischen Zeiten geflohen sind. Doch gibt es auch etwas, was die beiden trennt: Das eine Land ist Mitglied der Europäischen Union, das andere möchte es gern werden. Und zweites passt so manchem in Bulgarien nicht.

Zwar versicherte Ministerpräsident Bojko Borissow seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan erst vor kurzem, dass Sofia die EU-Ambitionen Ankaras unterstützen würde. Doch prompt handelte er sich damit heftigen Widerspruch der bulgarischen Nationalisten ein. Die Abgeordneten von Ataka brachten ihren Protest nicht nur mit Worten sondern auch mit ihrer Kleidung zum Ausdruck: Im Parlament marschierten sie mit T-Shirts auf, auf denen zu lesen war: "Nein zur Türkei in der EU". Ihre Meinung ist nicht völlig unerheblich, ist doch Borissows Minderheitsregierung auf die Unterstützung der Nationalisten angewiesen.

Diese Woche wiederum verließen die Ataka-Mandatare empört den Plenarsaal. Der Grund dafür: einmal mehr die Türkei. Bevor diese nämlich der EU beitritt, sollte ein Referendum darüber in Bulgarien abgehalten werden, befinden die Nationalisten.

Auch eine andere Gruppierung, die rechtskonservative VMRO (Bulgarische Nationale Bewegung), fordert dies und stützt sich dabei auf eine Liste mit mehr als 300.000 Unterschriften von Bürgern. Das reicht zwar nicht aus, damit das Parlament eine Volksabstimmung einleiten muss - dafür sind mindestens 500.000 Unterschriften nötig. Doch müssen sich die Abgeordneten mit der Petition befassen. Dies wurde allerdings diese Woche vertagt: Die Namensliste soll zuerst auf ihre Echtheit überprüft werden. Nach diesem Beschluss zogen die Ataka-Abgeordneten aus dem Plenarsaal aus.

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Die Ankündigungen, ein Referendum zum EU-Beitritt der Türkei zu veranstalten, sind nicht neu. Frankreich will es tun und Österreich auch. Nun überlegt es auch teilweise Bulgarien, das selbst von der EU-Kommission regelmäßig dafür gerügt wird, dass es seine Reformvorhaben nicht umsetzt. Im Übrigen haben die Bulgaren nicht einmal über ihre eigene EU-Mitgliedschaft abgestimmt.

Das Volk eines Landes über den EU-Beitritt eines anderen Landes abstimmen zu lassen, ist absurd. Hätte es ein Referendum über die Aufnahme Bulgariens oder Polens gegeben, wären die beiden vielleicht noch immer nicht Teil der EU, bloß weil Österreicher oder Franzosen etwas dagegen hätten. Es gibt etliche Kriterien für die EU-Mitgliedschaft eines Landes. Sie richten sich aber nicht nach den Populisten anderer Länder.