Janukowitschs Familie vor totaler Machtübernahme in Kiew?
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Kiew. Vor zweieinhalb Jahren hatte Mykola Asarow noch eine "schwere Aura" verspürt, als er von seiner Vorgängerin Julia Timoschenko das Arbeitszimmer als neuer ukrainischer Premierminister bezog. Der treue Gefolgsmann von Präsident Wiktor Janukowitsch hatte daraufhin vom Kiewer Höhlenkloster einen Popen kommen lassen, um das Büro zu weihen. Gleich, so Asarow, sei ihm leichter geworden.
Gut möglich, dass es Asarow nun noch leichter ums Herz ist: Denn der 64-jährige Premier, ein trockener Apparatschik der Sowjet-Schule mit wenig eigenen Ambitionen, galt in Kiew schon länger als amtsmüde. Nunmehr hat Präsident Janukowitsch ein Rücktrittsgesuch des Premiers akzeptiert und ihn - und mit ihm seine ganze Regierung - entlassen.
Asarow begründete seinen Rücktritt damit, dass er als Spitzenkandidat von Janukowitschs Partei der Regionen bei den Parlamentswahlen Ende Oktober ein Abgeordnetenmandat gewann - was mit der gleichzeitigen Ausübung einer Regierungsfunktion unvereinbar wäre. Doch gibt es in Kiew auch nicht wenig Stimmen, die darauf verweisen, dass Asarows Machtbasis in der Ukraine immer stärker bröckelt.
Stärkung der "Familie"?
Der Premier soll keiner der drei rivalisierenden Gruppen zugeordnet werden können, die sich in Kiew um die Macht streiten - nicht dem Donezker Clan um den reichsten Ukrainer Rinat Achmetow, nicht der einflussreichen Rosukrenergo-Gruppe um den Gasmagnaten Dmytro Firtasch und auch nicht jener Gruppe mit direktem Draht zum Präsidenten, die in jüngster Zeit immer dominanter zu werden beginnt: der "Familie" um Janukowitschs Sohn Alexander. Mit dem 36-jährigen Zentralbankpräsidenten Serhij Arbusow wird - neben dem stellvertretenden Premier Serhij Tihipko und Wirtschaftsminister Petro Poroschenko, einem prominenten Schokoladenhersteller - bereits ein Mann der "Familie" als Nachfolgekandidat für Asarow genannt. Arbusow soll ein enger Freund von Janukowitsch jun. sein und mit ihm gemeinsam studiert haben.
Peinlicher Gas-Fauxpas
Ob der Präsident sich aber allzu sehr von seinem Sohn, dessen Wirtschaftsimperium rasch wächst, abhängig machen will, ist auch nicht sicher - zu sehr liebt der Präsident seine Schiedsrichterrolle. "Das war ja der Vorteil Asarows für Präsident Janukowitsch: Er hatte keine großen Ambitionen und war ohne große Machtbasis auch von der Gunst seines Chefs abhängig", sagte der Kiewer Politologe Kyryl Savin zur "Wiener Zeitung". Savin glaubt auch nicht, dass Asarow ein peinlicher Fauxpas, der sich vor kurzem zugetragen hat, zum Verhängnis wurde: Ende November hatte Energieminister Juri Bojko einen Vertrag mit dem spanischen Energieunternehmen "Gas Natural Fenosa" über 1,1 Milliarden Dollar unterzeichnet, um die Energieabhängigkeit der Ukraine von Russland, die bei der ukrainischen Schwerindustrie praktisch 100 Prozent beträgt, zu reduzieren.
Besser gesagt: Er glaubte, ihn unterzeichnet zu haben. Die Ukrainer hatten den Vertrag nämlich nur mit einem vermeintlichen Mittelsmann, dem Katalanen Jordi Sarda Bonvehi, abgeschlossen - und das spanische Unternehmen dementierte umgehend, irgendetwas unterschrieben zu haben. Da hatte Präsident Janukowitsch bei einem Besuch in Katar aber bereits von dem scheinbaren Durchbruch erzählt - der Schaden war geschehen. Allein: Nicht die Regierung hatte den "Deal" angebahnt, verantwortlich dafür war der Leiter der Behörde für Investitionen und Nationales Projektmanagement, Wladislaw Kaskiw - ein Beamter, der direkt Janukowitsch unterstellt ist.
Das Nicht-Geschäft zeigt auch, dass die Ukraine nach jedem Strohhalm greift, um ihre Gas-Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Der im internationalen Vergleich sehr hohe Gaspreis, den Kiew der russischen Gazprom zu zahlen hat, beeinträchtigt die Wirtschaftsentwicklung im Land ganz erheblich. Erst kürzlich hat die Nationalbank in Kiew wegen des Devisenmangels einen Zwangsumtausch für Devisen ab einer bestimmten Höhe angeordnet. Das Problem könnte laut Beobachtern aufgrund der Stützungskäufe entstanden sein, die die Notenbank vor der Parlamentswahl Ende Oktober tätigte. Eine Abwertung der Landeswährung Hrywnja wird erwartet.