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Abwarten und zuschlagen

Von Alexander U. Mathé

Politik

Michael Ludwig war bis zur Wahl unauffällig und zurückhaltend, das dürfte sich bald ändern.


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Bevor er Bürgermeister wurde, galt er als Technokrat. Er repräsentiere nicht den Ursozialisten, den Wien brauche, hörte man mancherorts aus der Partei, nachdem er sich im Kampf um den Vorsitz der Wiener SPÖ gegen seinen Konkurrenten durchgesetzt hatte. Den meisten erschien er jedenfalls farblos im Vergleich zu seinem Vorgänger.

Die Rede ist von Michael Häupl. Von jenem Michael Häupl, der heute noch bei vielen als Urwiener Paradesozialist gilt. Seinerzeit sahen jedoch viele in Johann Hatzl den erdigeren Mann, der die sozialistischen Werte eher ansprach als der Akademiker aus Niederösterreich. Unter ähnlichen Vorzeichen ist nun Michael Ludwig Bürgermeister geworden. Ähnlich wie bei Häupl ist es sehr wahrscheinlich, dass auch er bald zum Urgestein aufsteigen wird.

Farblos, witzlos, ein Mann ohne eigene Meinung - so wurde Ludwig von Außenstehenden früher gerne charakterisiert. Schieder hingegen galt bei der Wahl des Wiener Parteivorsitzenden als der eigentliche Sozialist. Ludwig exponierte sich kaum mit Ansichten und Projekten. Er hatte mit Ruhe und Unauffälligkeit die Tugenden jener Männer, die in Kampf und Chaos unbeschadet den richtigen Zeitpunkt abwarten können. Eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft in politischen Regionen, in denen jeder zwei Messer hinter dem Rücken versteckt und noch mehr auf diesen gerichtet hat.

Den Killerinstinkt, zum richtigen Zeitpunkt zuzuschlagen, stellte Ludwig spätestens mit seinem Sieg im Kampf um die Wiener Parteiführung unter Beweis. Dass ihn zu ignorieren ein böser Fehler ist, davon kann die Chefin der Bundes-SPÖ Pamela Rendi-Wagner ein Lied singen. Verlässliche Quellen berichten, dass Ludwig in die Wahl der Spitzenkandidatin auf Bundesebene nicht eingebunden war. Ein Affront. Schließlich wurde bisher stets auf den Sanktus aus Wien gewartet - zu viele Interessen sind in Wien gebündelt, zu viele Fäden laufen dort zusammen. Der Chef in Wien ist der heimliche Chef der Sozialdemokratie. Was die SPÖ Wien bei der Nationalratswahl 2019 dann machte, kann man bestenfalls Dienst nach Vorschrift nennen: Ohne die Angriffe der anderen Parteien auf die SPÖ - etwa in Sachen Krankenhaus Nord - wäre man in Wien nicht auf die Idee gekommen, dass Wahlkampf herrscht.

Fokus auf Wien-Wahl

Die Wiener SPÖ machte das, was ihr Vorsitzender perfektioniert hat: Sie wartete ab und war ruhig. Eine katastrophale Niederlage war die Folge - auch in Wien. Die Reaktion Ludwigs war - nichts. Er mied jeglichen öffentlichen Auftritt und tat nicht nur so, als hätte er mit all dem nichts zu tun. "Nicht einmal ignorieren", sagt man dazu in Wien. Während andere bereits den Abgesang auf die rote Vormachtstellung in Wien anstimmten, war Ludwig auf sein einzig wahres Ziel fokussiert: Die Sänger Lügen strafen und der eigenen Partei beweisen, wer Herr im Hause ist.

Allmählich bekamen die Wiener Michael Ludwig häufiger zu Gesicht. Doch politisch lehnte er sich weiterhin kaum hinaus. Ein freundliches Lächeln und freundliche Worte zu egal welchem Thema: Das war bei ihm Standard. Bis auf wenige Ausnahmen. Zur Überraschung und dem Missfallen vieler - auch in der eigenen Partei - erließ er das Alkoholverbot am Praterstern in der Leopoldstadt. Zur Kritik schwieg Ludwig und wartete ab. Ein Jahr später holte sich die SPÖ diesen Bezirk von den Grünen zurück. Und nicht nur den.

Ludwig feierte bei seiner ersten Wien-Wahl einen vollen Erfolg - im Gegensatz übrigens zu seinem Vorgänger Häupl, der 1996 die Absolute für die SPÖ verlor. Mit 42 Prozent hat die SPÖ locker das Ergebnis Häupls vor fünf Jahren übertroffen. Nach altem Wahlrecht wäre es sogar die Absolute.

Nun beginnt eine neue Ära. Nicht nur, weil Ludwig jetzt auch gewählter Bürgermeister ist, sondern, weil er mit dieser Macht im Rücken befreiter agieren wird können. Er ist nicht mehr gezwungen, jedes Wort auf die Waagschale zu legen - aus Angst, er könnte eine wichtige Stimme verlieren.

Dass unter der ruhigen Oberfläche ein mächtiger Schmähführer ruht, konnte man schon jetzt punktuell sehen. In den Elefantenrunden zur Wahl beispielsweise. Ludwig versuchte zwar stets, ruhig und sachlich in den Diskussionen zu bleiben. Zu groß schätzte er offenbar das Risiko ein, mit einer unbedachten Aussage irgendeinen potenziellen Wähler zu vergrätzen. Dann und wann blitzte es dann aber doch durch. Das zeigte sich etwa, als Nepp sich darüber echauffierte, dass die ÖVP mit seinen Themen hausieren gehen würde. Ludwig gab darauf verschmitzt den Erklärer: "Der will deine Stimmen."

Ludwig konnte und wollte bisher offenbar nicht er selbst sein. Doch nach dem Wahlsieg wird Wien sicherlich einen neuen Ludwig zu sehen bekommen, bei dem nach und nach nicht nur ein guter Schmäh, sondern auch Ecken und Kanten zum Vorschein kommen werden.