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Die SPD steht vor der Grundsatzfrage, ob sie wieder den Juniorpartner von CDU/CSU geben soll.
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Bei der Bundestagswahl am Sonntag droht der SPD das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung. Mehrere Meinungsforschungsinstitute sehen die Sozialdemokraten bei 22 Prozent; das ist ein Prozentpunkt weniger als beim bisher schlechtesten Resultat 2009. CDU/CSU liegen mit 36 Prozent weit vorne.
Schneiden die Sozialdemokraten so schlecht ab wie prognostiziert, droht parteiintern eine Debatte, ob die SPD wie in den vergangenen vier Jahren Juniorpartner unter einer von Kanzlerin Angela Merkel angeführten Regierung sein soll. Was spricht dafür, was dagegen?
Pro: politische und wirtschaftliche Umbrüche mitgestalten
Den Mindestlohn eingeführt, die Mietpreisbremse durchgesetzt, die Frauenquote in Aufsichtsräten durchgeboxt und das Pensionsantrittsalter bei genügend Beitragsjahren gesenkt: Die Regierungsarbeit unter Schwarz-Rot war in den vergangenen vier Jahren von sozialdemokratischen Themen geprägt. Und das bei nur einem Viertel der Stimmen bei der Bundestagswahl 2013.
Franz Müntefering hatte recht: "Opposition ist Mist. Lasst das die anderen machen - wir wollen regieren." Mit diesen Worten bewarb er sich 2004 um den Parteivorsitz. 13 Jahre später ist die Welt noch komplexer geworden, eine Mitgestaltung der Umbrüche durch die SPD notwendiger denn je.
In der Autoindustrie zum Beispiel: Der Abschied vom Verbrennungsmotor hin zum E-Auto und Car-Sharing in Städten stellt das bisherige Geschäftsmodell der deutschen Vorzeigeindustrie auf den Kopf. 800.000 Menschen arbeiten bei einem Autohersteller, 1,5 Millionen sind es inklusive der Zulieferer. Viele Jobs werden künftig nicht gebraucht - auch wegen Industrie 4.0. Die SPD muss diesen Prozess für Arbeitnehmer sozial verträglich mitgestalten.
Die EU wird in der kommenden Legislaturperiode um ein Mitglied schrumpfen, der Brexit ist spätestens im März 2019 vollzogen. Neue Chancen und Gestaltungsspielräume tun sich auf. Will die SPD eine soziale Union, die von den Briten immer verhindert worden ist, darf sie nun nicht von der Oppositionsbank zusehen.
Für eine maßgebliche Rolle muss die Sozialdemokratie aber der CDU das Finanzministerium abspenstig machen. Wolfgang Schäuble besitzt keine Erbpacht darauf, und schließlich war das Ressort bereits unter der schwarz-roten Koalition von 2005 bis 2009 in SPD-Hand. Wer das Ministerium führt, bestimmt maßgeblich, wohin das Geld fließt - sei es in der Europäischen Union oder bei Investitionen in teils marode Schulen und Straßen in Deutschland.
Gewiss, bei der Basis ist eine Koalition mit Merkel so beliebt wie einst Helmut Kohl. Die SPD als staatstragende Partei kann aber nicht nur auf ihre Mitglieder hören, sondern muss die gesamte Gesellschaft im Auge behalten. Die große Koalition ist die beliebteste Regierungsform. Wer von Rot-Rot-Grün träumt, dem sei gesagt, dass fast drei Viertel der Deutschen diese - rechnerisch praktisch unmögliche - Variante weniger gut oder gar schlecht finden.
Sofern sich ein Bündnis der Union mit der FDP nicht ausgeht, sich gleichzeitig die SPD ihrer Verantwortung entschlägt, wird das Angela Merkel ausnutzen und Neuwahlen ausrufen. Dann droht eine absolute Mehrheit für die Kanzlerin.
Contra: Sedierung des Landes in übergroßer Koalition aufbrechen
Angela Merkel geht mittlerweile inhaltlich als SPD-Kanzlerin durch. Doch was bringt das den Sozialdemokraten in Umfragen? Keinen Prozentpunkt mehr! Zuletzt gesehen bei der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Die macht Martin Schulz zur Koalitionsbedingung, und Merkel gibt kurzerhand ihre jahrelange Blockadehaltung auf. Doch die Wähler nehmen ihr das opportunistische Verhalten nicht übel.
Juniorpartner sein ist Mist. Nur aus der Oppositionsrolle kann die SPD glaubwürdig gegen Merkel auftreten. Die inhaltlichen und handwerklichen Schwächen von Martin Schulz’ Wahlkampf beiseitegelassen: Nachdem die SPD vier Jahre alle wichtigen Entscheidungen in der Koalition mitgetragen hat, kann sie nun nicht glaubhaft gegen Merkels Kurs opponieren.
In der Opposition kann die SPD Grundsatzdebatten führen, sowohl parteiintern als auch im Bundestag. Ein Parlament, in dem die Koalition über eine erdrückende Mehrheit verfügt, lähmt die Diskussionskultur und fördert politische Ränder - siehe AfD. Staatspolitische Verantwortung ist gerade nicht der Platz in der Regierung.
Die SPD muss endlich wissen, wofür sie steht. Merkel präsentiert sich als Verwalterin der rot-grünen "Agenda 2010" und heimst die Früchte der harten Maßnahmen ein, während die Sozialdemokratie noch immer zur Kindesweglegung tendiert. Will die SPD das machen, dann richtig. Linkskurs hieße aber auch, die Linkspartei so zu schwächen, dass sie wieder zu einem ostdeutschen Phänomen degradiert wird.
Inhaltliche Erneuerung muss mit personeller einhergehen. Drei ältere Männer sind in Folge an der Kanzlerin zerbrochen oder stehen kurz davor: 2009 der damals 53-jährige Frank-Walter Steinmeier. Vier Jahre später war es Peer Steinbrück, zu der Zeit 66. Martin Schulz zählt mittlerweile 61 Jahre. Ein Generationenwechsel an der Spitze würde guttun. Womöglich übernimmt gar erstmals eine Frau den Vorsitz.
Dann stünden einander zwei Frauen an der Spitze der wichtigsten Parteien gegenüber. Auf der anderen Seite Angela Merkel in ihrer möglicherweise letzten Legislaturperiode. Sollten sich die Anzeichen darauf mehren, wäre in der Union der Nachfolgekampf entbrannt - und das Ringen um die Inhalte der Konservativen. Bisher überstrahlen Merkels Wahlerfolge die Unzufriedenheit der CDU-Basis über die Sozialdemokratisierung der Partei. Die Union würde mit einer Debatte ihrer Inhalte dazu beitragen, Merkels Politik der Sedierung aufzubrechen - und eine Wechselstimmung unter den Bürgern befeuern. Davon könnte die SPD profitieren.