Mit 31. Dezember 2014 endet der Isaf-Einsatz in Afghanistan - doch ausländische Ausbildungstruppen bleiben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Mazar-e-Sharif. (reu) Der Burger King ist verschwunden, der amerikanische Soldaten-Supermarkt PX hat sein Angebot verkleinert, und zwischen den einst dicht an dicht gepackten Wohncontainern und Zelten tauchen immer mehr Lücken auf: Der langsame Abschied der ausländischen Soldaten von ihrem größten Stützpunkt im Norden Afghanistans hinterlässt seine Spuren. Wenige Tage vor dem Ende des Kampfeinsatzes geht es im Camp in Mazar-e-Sharif bereits merklich gemächlicher zu als früher. Donnernde Starts von Kampfjets gehören der Vergangenheit an. Nur noch hin und wieder hebt ein Hubschrauber ab oder ein schweres Militärfahrzeug rumpelt über die staubigen Straßen des Lagers. "Es ist einfach alles ruhiger geworden", beschreibt ein Soldat die Lage wenige Tage vor dem Übergang vom Kampf- in den Beratungseinsatz zum Jahreswechsel.
Die Deutschen haben ihre Kampfhubschrauber, Panzerhaubitzen und Schützenpanzer längst heimgeholt. Ab Januar werden nur noch 1500 Soldaten in Mazar-i-Sharif stationiert sein, knapp die Hälfte davon Deutsche. Zu Hochzeiten des Einsatzes bewohnten mehr als drei Mal so viele Soldaten den ausgedehnten Stützpunkt. Mit dem Camp schrumpft auch der Auftrag der ausländischen Truppen am Hindukusch: Sie werden nicht mehr in den Kampf ziehen, um die 350.000 afghanischen Polizisten und Soldaten im ganzen Land zu unterstützen, sondern die einheimischen Sicherheitskräfte nur noch beraten und ausbilden, und zwar ausschließlich innerhalb von Camps oder im Ministerium in Kabul. Die Deutschen werden etwa 70 dieser Berater stellen.
Die internationalen Soldaten verschwinden damit weitgehend aus der Öffentlichkeit: Waren auf dem Höhepunkt des Einsatzes 2011 insgesamt 140.000 ausländische Truppen in Afghanistan stationiert, werden es künftig bei "Resolute Support" (Entschlossene Unterstützung) nur noch 12.000 sein. Unter ihnen sind knapp 10.000 Amerikaner und bis zu 850 Deutsche. Sie sollen den Afghanen vor allem helfen, ihre Logistik und operative Planung zu verbessern sowie die Aufklärung und den Kampf gegen Sprengfallen voranzutreiben. Hier hat die frisch aufgebaute afghanische Armee nach 30 Jahren Krieg und Chaos noch großen Nachholbedarf.
Auf zwei Jahre ist der neue Einsatz vorerst angelegt - zunächst in Kabul und den Regionen, später dann nur noch in der Hauptstadt. Mit dem schrittweisen Abschied ziehen Politik und Militär die Lehren aus Fehlern der Vergangenheit: Mit dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 geriet das Land in Vergessenheit, und die afghanischen Sicherheitskräfte lösten sich auf, als die Zahlungen aus Moskau ausblieben. Der Westen sah zu, wie Afghanistan, das er eben noch als Bollwerk gegen den Kommunismus gefeiert und aufgerüstet hatte, erst in den Bürgerkrieg taumelte und schließlich unter die Steinzeit-Herrschaft der radikalislamischen Taliban fiel. Als Konsequenz daraus versprach die internationale Gemeinschaft den Afghanen 2011 bei einer großen Konferenz in Bonn, ihr Land nicht noch einmal im Stich zu lassen, und schnürte milliardenschwere Hilfspakete.
Seither ist mit dem Irak ein weiteres mahnendes Beispiel hinzugekommen: Im Streit mit der Führung in Bagdad über ein Truppenstatut beschloss US-Präsident Barack Obama 2011 recht abrupt, alle US-Soldaten heimzuholen. Seither versinkt der Irak, in dem seit Kriegsbeginn 2003 knapp 4500 US-Soldaten getötet wurden, immer tiefer in der Gewalt. Der Vormarsch der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) zwang Obama schließlich, erneut Militär in den Irak zu schicken.
Die große Feuerprobesteht im Frühling bevor
In Afghanistan, wo seit 2011 knapp 3500 ausländische Soldaten umkamen, will die internationale Gemeinschaft einen solchen Rückfall in die Gewalt verhindern. Bisher schafften es die afghanischen Soldaten und Polizisten ganz gut, für relative Sicherheit zu sorgen. Der ruhige Ablauf der Präsidentenwahl überraschte selbst Optimisten. In letzter Zeit gelangen den Taliban jedoch wieder spektakuläre Anschläge in Kabul. Das westliche Militär nimmt dies bisher recht gelassen zur Kenntnis: Die Taliban müssten wohl zum Ende des Nato-Kampfeinsatzes auf sich aufmerksam machen, heißt es. Die Feuerprobe steht aber spätestens im Frühjahr bevor: Mit den wärmeren Temperaturen beginnt dann traditionell die Kampfsaison.
Militärisch sind die Afghanen auch dann nicht ganz allein auf sich allein gestellt. US-Kampfjets werden ihnen weiter Luftunterstützung geben, zudem lassen die USA über die 8000 Soldaten für den Beratungseinsatz "Resolute Support" hinaus weitere 1800 Soldaten am Hindukusch. Ihr Auftrag: der Anti-Terror-Kampf. Für sie geht der Kampfeinsatz also weiter.
Die deutschen Soldaten sollen dagegen ab 2015 laut Mandat nur noch im Extremfall Gewalt einsetzen. Dies gilt etwa, wenn sie selbst angegriffen werden oder wenn es darum geht, Ausländer aus Gefahrensituationen oder Geiselnahmen zu retten.
Den gefährlichsten Job bei den internationalen Truppen in Mazar-e-Sharif dürften neben den Beratern in Zukunft Soldaten anderer Nationen haben, die viel außerhalb des Camps unterwegs sein werden: Die schnelle Eingreiftruppe etwa werden Georgier und Letten stellen, für den Schutz des Lagers und damit auch Patrouillen in der nahen Umgebung werden Mongolen und Armenier zuständig sein. Soldaten aus Ungarn, Montenegro, Kroatien und den Niederlanden werden die Berater an ihre Einsatzorte fahren.
Der Aktionsradius der Soldaten in Mazar-e-Sharif schmilzt mit dem neuen Auftrag auf etwa 25 Kilometer rund um das Lager zusammen. So weit ist die Strecke zum Camp Shahin am anderen Ende der Stadt, wo das 209. Korps der afghanischen Armee seinen Sitz hat. Von hier aus wird der Einsatz der rund 14.800 afghanischen Soldaten im Norden des Landes gesteuert. Im Camp Shahin und im Verteidigungsministerium Kabul werden die etwa 70 deutschen Berater zum Einsatz kommen. Die übrigen Bundeswehr-Soldaten im Camp in Mazar steuern als Mitarbeiter des Stabes den Einsatz oder kümmern sich weiter um den Betrieb des Lagers.
Um sie herum werden in den kommenden Tagen allerdings noch einige weitere liebgewonnene Einrichtungen des Lagers abgebaut: So soll die für ihre Steaks und Hamburger berühmte Zeltkantine der GIs schließen, sie werden danach bei den Deutschen verköstigt. Auch im deutschen Teil des Camps hat inzwischen ein Café dichtgemacht, andere Cafés, Kneipen sowie das Fitnessstudio bleiben den Soldaten aus rund 20 Nationen dagegen erhalten. Und auch der liebevoll auf den Namen "Hindenburg" getaufte Zeppelin dürfte bis ganz zum Schluss bleiben, wann immer das sein mag: Fest vertäut schwebt er über dem Lager und beobachtet mit seinen Überwachungskameras die Umgebung.
Sicherheitsabkommen mit USA
Mit dem Ende September unterzeichneten Sicherheitsabkommen zwischen Afghanistan und den USA wurden die Rahmenbedingungen für einen Einsatz der US-Truppen für weitere zehn Jahre abgesteckt. Es soll bis Ende 2024 gelten und kann mit zweijähriger Frist gekündigt werden. Das Abkommen ist zudem Grundlage für die Nato-Folgemission.
Der Schwerpunkt des internationalen Miliärengagements soll ab 2015 auf der Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte liegen. "Sofern nichts anderes einvernehmlich vereinbart ist, werden die Streitkräfte der Vereinigten Staaten keine Kampfoperationen in Afghanistan durchführen", heißt es in dem Papier.
Besonders umstritten in Afghanistan ist, was in Artikel 13 steht: Dass US-Soldaten auch künftig Immunität vor afghanischer Strafverfolgung genießen. Die USA hätten "das alleinige Recht, Gerichtsgewalt (über ihre Soldaten) auszuüben". Ohne dieses sogenannte Truppenstatut hätten die USA dem Abkommen nicht zugestimmt.
Kabuls Forderung nach militärischem Beistand im Falle eines Angriffs oder einer Bedrohung von außen fand nur mit vagen Formulierungen Eingang in das Abkommen. In einem solchen Fall würden die USA und Afghanistan "auf einer dringenden Basis Beratungen abhalten, um eine angemessene Antwort zu entwickeln und umzusetzen".