Schwedens konservative Regierung unter Premier Fredrik Reinfeldt steht vor der Abwahl. Die Sozialdemokraten könnten eine Mehrheit abseits ihrer traditionellen grün-linken Partner suchen.
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Stockholm. "Schweden ist kalt geworden", sagen die dortigen Grünen. Es sei Zeit für eine wärmere, menschlichere Politik, meint die Öko-Partei. Diese Einstellung ist auch unter den Wählern spürbar, Umfragen signalisieren zwei Wochen vor der Parlamentswahl einen Regierungswechsel. Die bürgerliche Allianz, bestehend aus den konservativen Moderaten, der liberalen Volkspartei, der Zentrumspartei mit Interessen in der Landwirtschaft sowie den Christdemokraten, stellt seit 2006 mit Fredrik Reinfeldt den Regierungschef. Doch sein Parteien-Quartett kommt laut dem Stockholmer Umfrageinstitut Novus auf nur 39,4 Prozent der Stimmen.
Vorne liegt der zweite große Block in der Parteienlandschaft, bestehend aus Sozialdemokraten, Grünen und Linkspartei. Sie erreichen derzeit knapp 47 Prozent. Anders als beim letzten Urnengang vor vier Jahren besteht dieses Mal aber kein formelles Wahlbündnis zwischen den drei Parteien. Bei der Nutzung der Atomkraft gibt es beispielsweise gravierende Differenzen, der sozialdemokratische Spitzenkandidat Stefan Löfven ist von dem beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie alles andere als begeistert. So ist für die Sozialdemokraten, die in erster Linie die Auflösung der Allianz zum Ziel haben, eine lagerübergreifende Koalition mit Reinfeldts kleineren Koalitionspartnern denkbar.
"Die Wähler haben genug von der Allianz", sagt Jenny Madestam, die an der Universität Stockholm zu Parteien und politischer Führung forscht. Dabei müsse man beachten, dass ein Regierungswechsel keine extreme Zäsur darstellen würde. Die Sozialdemokraten wollen einige Eckpfeiler von Reinfeldts Kurs beibehalten. Seit 2006 hatte die Allianz das schwedische Wohlfahrtsmodell, ausgerechnet dem Vorbild des sozialdemokratischen Vorgängers Göran Persson folgend, weiter abgebaut, indem man soziale Dienstleistungen privatisierte. Der Duktus der sogenannten "Arbetslinjen" (Arbeitslinien) lautet: Arbeit soll sich lohnen. In der Praxis bedeutete dieses Prinzip der Arbeitsbeschaffung niedrigere Steuern auf Löhne und Gehälter und einen erschwerten Zugang zu finanzieller Unterstützung im Fall von Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Kritiker meinen, dass die Allianz die Menschen zum Arbeiten zwingt, selbst wenn sie nicht können. Die Sozialdemokraten propagieren nun ein Versicherungssystem, das Menschen in jeder Lebenssituation auffängt.
"Die Arbeitslosigkeit ist das größte Problem und das wichtigste, wenn auch nicht einzige Thema bei dieser Wahl", betont Madestam. Mit einem Anteil von 7,1 Prozent liegt Schweden zwar immer noch deutlich unter dem EU-Schnitt von 10,2 Prozent, dennoch ist die Schaffung neuer Arbeitsplätze zentrales Wahlversprechen der beiden dominierenden Parteien. Unter dem Motto "Wir bauen Schweden" veröffentlichte die bürgerliche Allianz am Montag ihr Wahlmanifest, aus dem hervorgeht, dass Investitionen in Infrastruktur und Wohnbau 20.000 neue Arbeitsplätze hervorbringen sollen. Außerdem hält man an der Reform von 2009 fest, die die Lohnsteuer für Angestellte unter 23 Jahren halbierte.
Sorgenkind Schule und Rückfall bei Pisa-Tests
Da diese vergleichsweise teure Reform bisher nur wenige neue Arbeitsplätze geschaffen hat, wollen die Sozialdemokraten sie rückgängig machen und dem Nachwuchs stattdessen einen Arbeits- oder einen Studienplatz innerhalb von drei Monaten Suche garantieren. Außerdem forcieren sie eine umfassende Bildungsreform, etwa mittels obligatorischem Besuch des Gymnasiums. "Schwedens Ergebnisse bei der Pisa-Studie sind in den vergangenen zehn Jahren rapide gesunken. Das weist darauf hin, dass es große Probleme in unseren Schulen gibt", zieht Madestam Bilanz. Sie sieht die Gründe in den zu großen Klassen, andererseits habe der Lehrerberuf an Ansehen verloren. Die Sozialdemokraten wollen daher 3,5 Milliarden Kronen (rund 385 Millionen Euro) investieren. Sie liegen in der Bildungspolitik mit der liberalen Volkspartei, einem von Reinfeldts bisherigen Partnern, auf einer Wellenlänge.
Rechtspopulisten befinden sich weiterhin im Aufwind
Während unter den etablierten Parteien bisherige Trennlinien aufweichen, bleibt die Distanz zu den Schwedendemokraten aufrecht. "Sozialstaat oder Masseneinwanderung. Du hast die Wahl", twitterte deren Parteichef Jimmie Akesson. "För alla" (Für alle), konterten seine Gegner. Die Rechtspopulisten zogen vor vier Jahren erstmals in den schwedischen Reichstag ein. 5,7 Prozent erreichten sie damals, nun kann die einwanderungsfeindliche Gruppierung mit einem Ergebnis um 10 Prozent rechnen (bei der EU-Wahl im Mai waren es 9,7 Prozent). Ungeachtet des Wahlergebnisses am 14. September wollen weder Moderate noch Sozialdemokraten mit den Schwedendemokraten koalieren. Gleichzeitig werfen sie einander in Debatten Nähe zu der nationalistischen Partei vor. "Schweden ist traditionell ein migrationsfreundliches Land", sagt Politikwissenschaftlerin Jenny Madestam. "Weder die bürgerliche noch die sozialdemokratische Regierung plant in diesem Bereich Änderungen, die für die Wahl relevant wären."