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Acht Millionen Schuldzuweisungen

Von Tamara Arthofer

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Tamara Arthofer
Tamara Arthofer ist Sport-Ressortleiterin.

Es ist ein typisch österreichischer Reflex, jetzt alles ins Negative zu ziehen. Doch er greift zu kurz.


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Und schon sind sie wieder da, die ersten Stimmen, die sich fragen, wozu man denn einen Schweizer als Teamchef bräuchte. Kann man eh machen, schließlich hat Österreich selbst acht Millionen davon. Sie haben halt nur ein kleines Problem: die Vergesslichkeit. Nach der tatsächlich, und daran gibt’s nichts zu rütteln, enttäuschenden Europameisterschaft ist sie also schon wieder vergessen, die Euphorie, die in den vergangenen Jahren um das Nationalteam und um Marcel Koller entstanden ist, ebenso wie die trotz der guten Qualifikation immer wieder aufgetauchte Frage, warum Koller stur immer denselben Spielern und demselben System vertraue. Es ist zwar ein durchaus logischer, andererseits aber irgendwie bizarrer Reflex, dass sie sich jetzt ins genaue Gegenteil umkehrt. Weil er ausgerechnet im entscheidenden Island-Spiel vom 4-2-3-1 auf eine Dreierkette umgestellt und David Alaba quasi als falschen Neuner aufgeboten hat, soll das nun schuld am gefühlten Debakel sein. Dabei haben die Spieler schon im Eröffnungsmatch gegen Ungarn eindrucksvoll bewiesen, dass sie auch im gewohnten System so richtig schlecht drauf sein können. Alaba wiederum wurde seit Jahren weithin für seine Vielseitigkeit gepriesen, nun heißt es: falsch eingesetzt. Dabei ist das System nur bedingt für die Unform einiger Spieler, für die Alaba nun unfreiwillig zum Symbol geworden ist, verantwortlich zu machen. Ein Fehlpass ist ein Fehlpass, ist ein Fehlpass und bleibt ein Fehlpass, und bei einem Stangenschuss ist knapp daneben halt immer noch vorbei. Freilich: Es ist müßig, über mangelndes Glück und einen ungünstigen Turnierverlauf mit dem Fehlstart und dem Ausfall eines der wichtigsten Kreativspieler zu diskutieren, mit Hätti-wari haben’s schon andere nicht weit gebracht.

Nach einem kurzen Urlaub, der Sebastian Prödl den geradezu niedlichen Satz "Keiner will einen Urlaub, aber wir müssen jetzt in Urlaub" entlockte, muss gründlich analysiert werden, was schiefgelaufen ist. Vielleicht hat man das neue System doch zu wenig ausgetestet, die ÖFB-Elf ist bekannt dafür, ihre Automatismen zu brauchen, um ins Laufen zu kommen. Vielleicht waren es auch andere Fehler in der Vorbereitung, die den Spielern nicht jene physische wie psychische Frische gebracht hat, die es für ein großes Turnier braucht, vielleicht war sie einfach zu kurz. Dass Österreich über viele Legionäre in starken Ligen verfügt, die bis zuletzt um Titel spielen, spricht zwar für das Potenzial, das im Team war und trotz der Enttäuschung immer noch ist; es mag sich aber in dieser Hinsicht vielleicht als wenig hilfreich erwiesen haben. Da ist es auch kein Trost, dass es auch anderen so geht. Zlatan Ibrahimovic etwa ging mit Schweden in der Vorrunde sang- und klanglos unter und damit aus seiner Sicht vorzeitig von der großen Nationalmannschaftsbühne; Cristiano Ronaldo benötigte zweieinhalb Spiele, ehe er nicht nur entnervt das Mikrofon eines Journalisten in einem Teich, sondern auch den Ball im Netz versenkt hatte. Ausrede ist das keine, doch es kommt eben immer auch auf die Perspektive an. An Tagen wie diesen schaut die natürlich düster aus. Nun bleibt zu hoffen, dass die Stimmung bald wieder umschlägt. Zumindest ins Negative ist das ja recht schnell gegangen.