Am 30. Juni 2003 nahm der Österreich-Konvent seine Arbeit auf. Ehrgeiziges Ziel des Gremiums, in dem knapp 70 Fachleute und Politiker sitzen: Die grundlegende Reform des österreichischen Staatswesens und seiner Verfassung. In welchen Bereichen wurden bis jetzt Kompromisse geschlossen? Wo divergieren die Standpunkte? Versuch einer Zwischenbilanz.
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Hört man die Kassandrarufe heimischer Verfassungsrechtler der letzten Jahrzehnte, droht die österreichische Verfassung im legistischen Chaos zu versinken: Normenflut, Kompetenz-Wirrwarr, ein Verfassungsrecht, das seinen Namen gar nicht verdient.
Tatsächlich sind die mehr als 1.000 österreichischen Verfassungsbestimmungen - anders als in anderen Ländern - nicht in einem Grundgesetz gebündelt, sondern quer durch die gesamte Rechtsordnung in fast allen einfachen Gesetzen versteckt. Die Politiker hätten, monieren Verfassungsexperten zu Recht, praktisch ein jedes Thema in die Verfassung gepackt, so sie die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit dazu aufbrachten. Die Folgen: Taxifahrer finden sich genauso im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) wie die Organisation der Schulen.
Auch das Verhältnis von Bund, Ländern und Gemeinden ist höchst kompliziert und vielschichtig. Die Kompetenzartikel im österreichischen B-VG werden von den Studenten der Rechtswissenschaften aufgrund ihrer Komplexität gefürchtet. Was eine Reform erschwert, sind die Interesssen von Landes- und Kommunalpolitikern, die ihre Einflussbereiche sorgsam verteidigen.
Blicken wir nun auf den Österreichkonvent, wo in zehn Arbeitskreisen rund 70 Experten und Politiker aller Couleurs aufeinander treffen, kann man sich vorstellen, dass der Interessensausgleich kein leichter war und ist: Hier prallen nicht nur die linke und die rechte Reichshälfte aufeinander, hier duellieren sich Föderalisten mit Anhängern einer zentralen Verwaltungsstruktur. Christliches stößt auf laizistisches Staatsverständnis, sozialstaatliches auf liberales. Damit nicht genug, wurden in mehreren Anhörungen Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen zugezogen.
Der Verfassungskonvent als Mittel, unliebsame Entscheidungen aufzuschieben? Eine politische Totgeburt?
Nachdem mittlerweile acht von zehn Arbeitskreisen ihre Abschlussberichte präsentiert haben, könnte man auf den ersten Blick tatsächlich diesen Eindruck bekommen. In den Berichten der Arbeitsgruppen dominiert der Dissens. In entscheidenden staatspolitischen Grundsatzfragen wie Neutralität, Landesverteidigung oder Bundesstaatsreform haben sich die Konventsmitglieder darauf geeinigt, dass sie sich nicht einig sind. Die Erarbeitung eines Grundrechtskatalogs direkt im B-VG und nicht mehr, wie bisher, verteilt auf mehrere Rechtsgrundlagen, ist bis dato nicht geglückt. Der Ausschuss-Bericht zur höchst umstrittenen Frage der Finanzverfassungsreform wird frühestens im Juli fertig sein.
Trotzdem fällt die Bilanz der meisten Konvent-Teilnehmer nicht gar so negativ aus. Dass ein Kompromiss in den entscheidenden Fragen einfach zu erzielen gewesen wären, habe ohnehin niemand ernsthaft angenommen, versichert etwa Gerhart Holzinger, Leiter des Arbeitskreises III und Präsident der Juristenkommission, die sich an diesem Wochenende ganz dem Österreich-Konvent widmet: "Das Verdienst des Konvents besteht in erster Linie darin, dass in dieser aufwändigen Diskussion im Rahmen des Konvents alles auf den Tisch gelegt wurde, was es an Reformvorschlägen und Lösungsansätzen gibt." Johann Rzeszut, OGH-Präsident, sieht vor allem die Chance auf eine "umfassende Rechtsinventur".
Peter Kostelka, von der SPÖ entsandter Volksanwalt und Leiter des Ausschusses VIII (Demokratische Kontrollen) formuliert es bildhaft: "Der Bauplatz ist abgesteckt, die Ziegel sind gebrannt. Jetzt geht es darum, das Haus auch tatsächlich zu bauen."
Nach Meinung von Edith Goldeband, der Geschäftsführerin des Österreich-Konvent-Büros, zeichnen sich "erste Konturen einer neuen Verfassung" bereits ab. Eine Einschätzung, die - liest man die Schlussberichte - wohl als zweckoptimistisch eingestuft werden muss. Die politischen Weichen wird in den nächsten Wochen das Präsidium mit Franz Fiedler an der Spitze zu stellen haben. Mit Übergabe der Ausschussberichte bis Ende Juli, die zu den strittigen Fragen jeweils mehrere alternative Gesetzesvorschläge enthalten, an das Präsidium des Konvents geht dieses in "Intensivberatungen".
Fiedler jedenfalls will den Endbericht plangemäß Ende 2004 fertig haben. Gerhart Holzinger ist dafür, die Reform einer Volksabstimmung zuzuführen - "das heißt, wenn etwas Substanzielles drinnen steht."