Bald werden auch Politikerreden mit Trigger-Warnungen vor verstörenden Behauptungen versehen werden.
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Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Nationalratssitzungen mit einer Trigger-Warnung vor verletzender Sprache und verstörenden Behauptungen versehen werden. Die Welt, die hier gemalt wird, ist schließlich nichts für empfindliche Gemüter. Am Mittwoch etwa sah die FPÖ den Totalitarismus im Vormarsch und die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr. Anlass sind anhaltende Versuche linker Aktivisten, die Vorlesung eines FPÖ-nahen Professors zu unterbinden.
Anschließend konstatierten SPÖ und Neos einen "Anschlag auf die Demokratie" und ein "Mundtotmachen" der Opposition. Hier empörte, dass von ÖVP und Grünen die letzte Entscheidung über die Zulässigkeit der Themen des Untersuchungsausschusses dem Verfassungsgerichtshof überlassen wird. Eben genau so, wie es das Gesetz für die Einsetzung eines U-Ausschusses vorsieht.
An anderer Stelle erklärte ein weiterer Abgeordneter apodiktisch, dass dieses Land weder über ein intaktes Gesundheits- noch über ein ebensolches Bildungssystem verfüge.
Über das Verhältnis von Sprache und Realität sind schon viele Theorien verfasst worden. Und es ist beruhigend, dass die Wissenschaft noch zu keiner abschließenden Einsicht gekommen ist. Denn sollte die These stimmen, dass auf eine Radikalisierung der Sprache auch eine Radikalisierung der Taten folgt, müssten wir uns ernsthafte Sorgen machen.
Glücklicherweise spricht mehr für die These, dass die rhetorische Eskalation in Politikdebatten reines Stilmittel ohne Bezug zur darüber hinausreichenden Realität ist. Weder steht hierzulande der Totalitarismus an den Unis kurz vor dem Durchbruch noch die Demokratie vor dem Zusperren.
Zur Politik gehört eine kantige Sprache, die selten Raum für Zwischentöne sucht; und wenn doch, fordert eine kritische Öffentlichkeit Klarheit ein. Mit dem gleichen Recht, wie die Parteien bei Bedarf auf Zweideutigkeiten und Vagheit beharren.
Österreichs Parteien haben Talent zum Schauspiel, weil es ihnen mühelos gelingt, mit der gleichen Überzeugung heute das eine und morgen das andere zu vertreten. Dass sie es auch gleichzeitig können, zeigt das Schauspiel, das gerade im Wiener Rathaus aufgeführt wird: Hier empören sich FPÖ, ÖVP und Neos darüber, dass Rot-Grün die Untersuchungskommission zu Vereinsfördergeldern massiv behindere. Ein Gutachten des Magistrats will nämlich dekretieren, welche Vereine geprüft werden dürfen.
Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen aufgeführt in Parlament und Wiener Gemeinderat zeigt, dass auch den Parteien im Zweifel eine gute Show wichtiger ist als eine stringente Position.