Turan setzt Denkmäler auf weichen Materialien und in Kleidform. | Subversive Methode der Collage-Technik.
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Wien. Die kurdisch-türkische Künstlerin Esin Turan wurde in Konya geboren. Ein Studium der Bildhauerei in Ankara (Hacettepe University) setzte sie ab 1992 in Wien bei Bruno Gironcoli an der Akademie fort, ergänzend inskribierte sie an der Angewandten bei Wander Bertoni. Durch ihr Engagement in Integrationsprojekten der Stadt und der EU, die Menschen verschiedener Kulturen über Kunstaktivitäten zusammenbringt, entschloss sie sich in Wien zu bleiben. In den 90er Jahren arbeitete Turan, die alljährlich ein paar Monate in der Türkei verbringt, als Fotografin auf der österreichischen Ausgrabung in Limyra nahe von Antalya mit. Sie beteiligt sich weltweit an Ausstellungen und Projekten.
Eigensinnige Geschichten
Fotografie spielt in ihrem Werk eine größere Rolle, daneben Textilien, Objekte, die Collage und Installationen. Ihre russische Großmutter hat sie durch Abdruck alter Fotografien auf Hängeobjekte in Hemd- oder Kleiderform fixiert. Da ist eine Frau in weißem Kleid und mit weißen Schleifen im Haar zu sehen, deren Herkunft nicht lokalisierbar ist. Sichtbar ist aber die Phase des Aufbruchs ins 20. Jahrhundert. Es sind Geschichten voller Eigensinn, denen sie - auch mit anonymen Fotofundstücken - auf Textilien gedruckt und zuweilen in alte hölzerne Postboxen montiert, eine Serie von Denkmälern setzt; nicht mehr aus Stein, sondern in weichen Materialien und in Kleidform, die an Schnüre gehängt, in Ausstellungsräumen präsentiert werden.
Ein meterlanges Kleid für hohe Ausstellungsräume versammelt Fotoabdrucke zahlreicher namenloser Frauen, die auf die Jahrhunderte währende Dominanz männlicher Geschichtsschreibung verweisen. Turans feministisches Statement der "Faded Faces" ist mit Positionen einer Nancy Spero, Rosemarie Trockel oder Jenny Holzer vergleichbar, die ab 1970 ein weibliches Gegenkonzept mit ihrer Kunst erstellten. Mit der subversiven Methode der Collage kombiniert Turan Schrift, Fotografie, zuweilen auch Gold auf Leinwand und Papier, kombiniert mit Zeichnung, Nähten und gegenstandsloser Malerei in Form von gewachsenen oder zufälligen Flecken an Hausmauern.
Wasser- oder Fettränder umranden auch erotische Sujets, zuweilen sind sie deftig oder mit kitschigen Aspekten aus der Populärkultur bewusst ins Peinliche gerückt. Dabei verwendet die Künstlerin Ausschnitte aus Magazinen, die zu "Sewn-Up Dreams" verklebt und vernäht werden. Die Nadel vermag auf traditionell feminine Tätigkeiten, aber auch schlicht den Schmerz des Stichs in die Haut verweisen.
In "White Nights" (2011) wird die Erotik mit surrealem Film, aber auch der Traumstruktur verbunden, die von Sigmund Freuds Psychoanalyse ihren Weg in die Kunst fand. Ironische Wunschprojektion "Will You Marry It" verbannen rätselhafte Nostalgie in Gefilde der Karikatur von Küchengerätekörpern. So gelingt eine bissige gesellschaftliche Reflexion, wobei Turan gegen türkische wie europäische Traditionen angeht und Vorurteile bildlich aufdeckt.
Drastische Installationen
Die schweren Terroranschläge weltweit im letzten Jahrzehnt, aber auch Konflikte mit Migration in Wien haben sie zu zahlreichen Installationen veranlasst. Ihre beschrifteten Emigranten-Koffer "Two Oranges And A Fistful Sugar" 2005 vor einer Wiener Galerie ist eine weniger drastische Installation als die "Explosive Fortunes" von 2008. 16 Holzboxen sind mit chinesischen Glückskeksen und goldenen Handgranaten(-attrappen) gefüllt.
Zuletzt wurde ihre sehr direkte Fotoarbeit einer Frau in der Burka mit einer Handgranatenkette 2009 zum Reizthema Schleier im österreichischen Kulturforum in New York wegen angeblicher Provokationsgefahr nicht gehängt. Die 16-teilige Fotoserie "This Is Not A Veil" zeigt eine Abfolge von theatralischen Positionen einer beinfreien Verschleierung vor bunten Tapeten. Terrorismus und Eventkultur, Tanz und Ritual verbinden sich zur absurden Maskerade unserer Gegenwart. Dazu passt das Ready-made "Book Of Mystery" von 2009 mit einer Hasengeburt aus Seiten altgriechischer Literatur.