Er war Adolf Eichmanns rechte Hand und sein Nachfolger in der von den Nazis mit der verharmlosenden Bezeichnung "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" benannten Organisationseinheit, die österreichische Juden zuerst aus dem Land vertrieb und später die Deportationstransporte zusammenstellte: Alois Brunner. Doch Brunner I, wie er später zur Unterscheidung von dem 1946 hingerichteten Anton Brunner (Brunner II) genannt wurde, hinterließ seine blutige Spur nicht nur in Wien, sondern war auch in Berlin, in Saloniki, in Frankreich und zum Schluss in Bratislava (Pressburg) tätig, wo er noch im März 1945 die letzten Transporte ins KZ Theresienstadt zusammenstellte.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In dem vor kurzem im Campus-Verlag erschienenen Buch "Die Akte Alois Brunner" beschreiben Georg M. Hafner und Esther Schapira die NS-Karriere des aus dem burgenländischen Dorfes Rohrbrunn stammenden Alois Brunner und die wenig ruhmvolle Rolle der deutschen und österreichischen Justiz nach 1945 bei der Ausforschung eines der größten NS-Verbrecher.
Der am 8. April 1912 geborene Brunner, der schon 1931 NSDAP- und SA-Mitglied wurde, war offiziell erst ab 1941 Nachfolger Adolf Eichmanns als Leiter der Wiener Zentralstelle für die jüdische Auswanderung, tatsächlich zog er aber schon seit 1939 als rechte Hand Eichmanns die Fäden in Wien.
Seit 1942 mit seiner Sekretärin Annie Röder verheiratet, profitierte er selbst von der Beraubung der Juden, die er in die Vernichtungslager schickte. Das Ehepaar Brunner bezog eine arisierte Villa im 18. Bezirk. Brunner entscheidet über das Schicksal der von ihm für den Tod Bestimmten nicht bloß vom Schreibtisch aus. Zwei Frauen, die den Holocaust überlebt haben, sagten schon unmittelbar nach ihrer Rückkehr nach Wien aus, dass er eigenhändig den jüdischen Bankier Sigmund Bosel erschossen habe.
Nachdem er sein Ziel, die "Entjudung" Wiens, derer er sich noch in einem Interview mit der deutschen Illustrierten "Bunte" im Jahr 1985 rühmte, weitgehend erreicht hatte, zog es Brunner nach Berlin, wo er ab Herbst 1942 seine mörderische Tätigkeit fortsetzte.
Schon am 2. Februar 1943 tauchte er in Saloniki auf, wo damals rund 50.000 Juden lebten, Nachkommen jener sephardischen Juden, die Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien vertrieben worden waren. Auch hier machte er sich in der Villa einer jüdischen Familie breit und organisierte die Vernichtung der jüdischen Gemeinde dieser griechischen Stadt. Ab Mitte März 1943 rollen die Züge aus Saloniki nach Auschwitz. Insgesamt werden es 18 sein, die 45.324 Menschen in das größte Vernichtungslager bringen. Im Jänner 1945, als Auschwitz evakuiert wird, sind gerade noch 358 von ihnen am Leben.
Als die jüdische Gemeinde Salonikis unwiederbringlich zerstört ist, geht Brunner an seinen nächsten Einsatzort: Paris. Vom Sammellager Drancy gehen die Deportationszüge ununterbrochen in den Osten. Als ihm der Nachschub in Paris ausgeht, sucht Brunner seine Opfer im Süden Frankreichs, wo bis zum italienischen Waffenbstillstand mit den Allierten im September 1943 Mussolinis Truppen nicht bereit waren, mit den "Endlösern" in Berlin zusammenzuarbeiten. Brunner ist selbst dabei, als die Juden aus ihren Verstecken geholt werden. Eines der Opfer ist der Vater von Serge Klarsfeld, der jetzt die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Brunner in Paris betrieb. Serge Klarsfeld, seine Mutter und seine Schwester überlebten in einer doppelten Kastenwand. Mindestens 232 Kinder holte Brunner zwischen 21. und 25, Juli eigenhändig aus Pariser Kinderheimen, um sie in die letzten Todeszüge zu setzen, die Frankreich verlassen. 22 Transporte mit mehr als 23.000 Menschen hat Brunner von Drancy aus organisiert.
Letzte Wirkungsstätte Brunners war Bratislava, wo er gegen Ende September 1944 auftauchte und zu Jom Kippur am 27. September eine Razzia veranstalten ließ. Als Auschwitz von den Russen Ende Jänner 1945 befreit wird, lässt er seine Opfer aus der slowakischen Hauptstadt nach Bergen Belsen und nach Theresienstadt bringen - rund 14.000 Menschen, die letzten 370 am 31. März 1945.
Nach dem Krieg tauchte Alois Brunner unter, nahm den Namen eines Verwandten, Alois Schmaldienst an. Obwohl mehrmals interniert wird er nicht erkannt und lebt unter falschem Namen bis etwa 1954 in Deutschland.
Dann führen die Spuren des einstigen Jägers, der nun selbst zum Gejagten wird, in den Nahen Osten, nach Kairo und Damaskus, wo er unter dem Namen Georg Fischer lebte, ins Waffengeschäft einstieg und ganz offensichtlich zum Agenten wurde. Zwei Briefbombenattentate verletzten ihn schwer an den Augen und kosten ihn vier Finger.
An Syrien gestellte Auslieferungsbegehren aus mehreren europäischen Ländern verliefen im Sande. Syrien behauptete, er lebe nicht dort. Immer wieder einmal traf er sich aber mit Journalisten und zeigte, dass er nichts bereut. Der neue Pariser Prozess wird wohl der dritte sein, der in seiner Abwesenheit gegen ihn geführt wird.
Georg M. Hafner, Esther Schapira: Die Akte Alois Brunner. Warum einer der größten Naziverbrecher noch immer auf freiem Fuß ist. Campus Verlag, 326 Seiten.