Die Parteiführung zerfleischt sich, von früheren Beliebtheitswerten sind die deutschen Rechtspopulisten deutlich entfernt.
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Die AfD hat in ihrer kurzen Geschichte mehrere inhaltliche Kehrtwenden vollzogen. Zu den wenigen Konstanten bei den deutschen Rechtspopulisten seit deren Gründung 2013 zählt, dass sich das Führungspersonal öffentlich zerfleischt. Da kann es schon passieren, dass eine jahrelange Parteichefin - Frauke Petry - nur einen Tag nach dem Einzug der AfD in den Bundestag vor laufender Kamera ankündigt, sie wolle nicht deren Fraktion angehören. "Wir sind ein gäriger Haufen und jetzt ist jemand obergärig geworden", kommentierte der Verbinder zwischen konservativen und völkischen AfD-Strömungen, Alexander Gauland, damals den Abgang Petrys.
Zu den Obergärigen zählt Andreas Kalbitz. Über Jahre baute der Vertreter der innerparteilichen Gruppierung "Der Flügel" seine Macht aus, bei der Landtagswahl in Brandenburg 2019 erreichte die AfD unter seiner Führung 23,5 Prozent. Er ist ein Westdeutscher, der im Osten mit einer rechtsextremen Agenda Karriere machte - wie sein "Flügel"-Kollege Björn Höcke, der das Berliner Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" verunglimpfte. Den "Flügel"-Einfluss auf die gesamte AfD bremste der Verfassungsschutz im April, er attestierte der Bewegung eine "gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung".
Der Rechtsextremismus bleibt
Der "Flügel" löste sich auf Druck des AfD-Bundesvorstands auf. Dieses Gremium beschloss auch mit denkbar knapper Mehrheit, Kalbitz’ Parteimitgliedschaft zu annullieren. Denn er soll bei Eintritt in die AfD frühere Mitgliedschaften bei den Republikanern und in der mittlerweile verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend verschwiegen haben. Kalbitz kämpft gegen den Rausschmiss an. Am Freitag wies jedoch ein Berliner Gericht seinen Eilantrag ab. Zumindest bis zum entscheidenden Hauptverfahren hält somit die Linie des Bundesvorstands.
Kalbitz trägt derweil weiter zu seinem Abstieg bei. Seinem Brandenburger Kollegen Dennis Hohloch boxte er in die Milz, laut Kalbitz rein freundschaftlich, zur Begrüßung. Hohloch musste mit einem Milzriss ins Spital eingeliefert werden. Aber selbst wenn Kalbitz keine Rolle mehr in der AfD spielen sollte, die extremistische Strömung in der Partei verschwindet nicht von alleine.
Bisher zeigt die AfD-Spitze keine ernsthaften Bemühungen, nachzuhelfen. Den rechten Rand an die NPD oder das Lager der Nichtwähler zu verlieren, ist keine Option. Zumal die AfD in Umfragen ein gutes Stück von früheren Glanzzeiten entfernt ist, als Flucht, Asyl, Migration und Integration die bestimmenden Themen waren. Verschärft hat sich dieser Trend auch durch die Corona-Krise. Vor deren Beginn in Europa lag die AfD bei 14 Prozent. Heute sind es zehn Prozent laut Daten von Infrastest dimap.
Die gute Nachricht für die Partei: Ihre Wählerbasis ist stabil. Selbst während der Zeit des Lockdown fiel sie nie unter neun Prozent. Und das, obwohl die AfD wie alle Oppositionskräfte kaum in den Medien vorkam. Alles war von den Maßnahmen der schwarz-roten Koalition überschattet.
Corona begünstigt die Regierenden, sofern sie keine gravierenden Fehler machen. Dies trifft in Deutschland aber nur auf die Konservativen zu. Im Februar lagen CDU/CSU noch bei 26 Prozent, derzeit sind es 37. Kanzlerin Angela Merkel ist mit Abstand beliebteste Politikerin des Landes. Die Sozialdemokraten aber verharren bei kümmerlichen 16 Prozent aus Prä-Corona-Zeiten. Das obwohl Finanzminister Olaf Scholz, SPD-Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2021, üppige Hilfsgelder verteilt. Am stärksten verlieren die Grünen, von 22 auf 17 Prozent.
Beliebte Regierungspolitik
Gleich ob die Bürger CDU, CSU, Grüne, SPD, Linkspartei oder FDP wählen, sie sind mehrheitlich mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden. Die große Ausnahme unter den Bundestags-Parteien bilden die AfD-Anhänger; unter ihnen sind es nur acht Prozent.
Corona-Leugner und -Verharmloser bringen die AfD in der Wählergunst nicht entscheidend weiter. Denn die Bürger stehen hinter strengen Maßnahmen. Rund 60 Prozent halten diese für ausreichend, sogar zu lasch sind sie für knapp 30 Prozent, ergab der "ARD Deutschlandtrend". Lediglich elf Prozent geht die Corona-Politik der Regierung - tatsächlich wird diese großteils von den Bundesländern bestimmt - zu weit.
Die hohen Beliebtheitswerte für Schwarz-Rot resultieren auch aus einem weniger starken Konjunktureinbruch im zweiten Quartal, das Minus fällt geringer als in Österreich aus. Zudem beklagt Deutschland wesentlich weniger Covid-19-Tote als andere Staaten: 110 Personen pro einer Million Einwohner sind mit dem Virus verstorben, in Italien sind es 582.
Die AfD sucht ihr Glück daher, indem sie weiter ihre Leibthemen bespielt. Vize-Parteichef Stephan Brandner kritisiert, der deutsche Gesundheitsminister, Jens Spahn, verschenke 250 Millionen Masken im Wert von 275 Millionen Euro an andere Staaten, während "die eigene Bevölkerung sich Tücher und Lappen in das Gesicht hängt". Parteichef Jörg Meuthen arbeitet sich dieser Tage auf Facebook ab an "ökosozialistischen, gängelungsfanatischen und zutiefst freiheitsfeindlichen sogenannten Grünen", einem mutmaßlichen islamistischen Anschlag auf der Berliner Stadtautobahn und "Sonderrechte für linksextreme Straftäter im kaputten Berlin". Die Kernklientel will auch in schwierigen Zeiten für die AfD bedient werden.