Ein internes Strategiepapier der AfD zeigt: Die Partei will in der Zivilgesellschaft Fuß fassen - und sich moderat geben.
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Man sei die "einzig authentisch bürgerlich-konservative Volkspartei", rief Björn Höcke Mitte September, beim Wahlkampfauftakt der AfD in Thüringen, seinen Anhängern und Funktionären zu. Das Aushängeschild des rechtsextremen "Flügels" der Partei übernahm damit eine Selbstdarstellung, wie sie bereits seit einigen Monaten von der Parteispitze vorgegeben wird: Raus aus dem rechten Eck, in das man sich von den Medien gestellt fühlt, und aus der politischen Isolation. In den neuen Bundesländern in Ostdeutschland hat die AfD massive Erfolge erzielt - im Westen stagniert sie, bei den letzten EU-Wahlen fuhr sie gar Verluste ein. Die AfD, die vom deutschen Verfassungsschutz als Prüffall und deren "Flügel" als Verdachtsfall behandelt wird, erhebt ihren Spin von der "bürgerlich-konservativen" Partei nun offenbar zum - offiziellen - Programm.
"Strategie 2019 - 2025. Die AfD auf dem Weg zur Volkspartei" heißt das interne Papier, das der "Wiener Zeitung" und dem deutschen "Tagesspiegel" exklusiv vorliegt. Verfasst wurde es bereits Ende Juli, hauptsächlich verantwortlich ist der Vizeparteichef und Berliner Landeschef Georg Pazderski. Noch im Sommer hat es der Bundesparteivorstand beschlossen. Auf 72 Seiten definiert die AfD ihren Status quo und formuliert ihre Ziele wie auch ihre Pläne, diese zu erreichen. "Die AfD ist noch nicht ausreichend in der Bürgergesellschaft verankert", ist etwa zu lesen. In Anlehnung an die 68er-Bewegung brauche es deshalb einen "Marsch durch die Organisationen" - Berufsverbände und Gewerkschaften etwa, aber auch Sportvereine und Nachbarschaftsvereinigungen, überall dort brauche es "Fürsprecher und Multiplikatoren" für die Partei und ihre Ziele, sonst könne man "auf Dauer nicht politisch erfolgreich sein".
Als Schwäche für künftige Wahlen, vor allem im Westen, sehen die Parteistrategen auch eine schwache Resonanz im "konservativ-liberalen Bürgertum der Mitte und rechts davon". Vor allem bei Akademikern schneide man unterdurchschnittlich ab. Das aber müsse dringend geändert werden, da das Milieu über "Sachkompetenz, finanzielle Mittel und Zugang zur Bürgergesellschaft" verfüge.
"Informelle Treffen" gewünscht
Weil aber genau diese Personen große Angst vor "Image und Statusverlust" hätten, wenn sie sich "offen für die AfD aussprechen" würden, müsse man "Seriosität, Kompetenz, Bürgernähe und Verantwortungsbewusstsein herausstellen". Die Gruppe der bürgerlichen Akademiker sei vor allem deshalb wichtig, da es laut den AfD-Strategen künftig schwieriger werde, in der Gruppe der Nichtwähler zu fischen, und man im prekären Milieu, bei kleinen Angestellten und Selbständigen mit der SPD und den Linken konkurriere.
Gleichzeitig werden auch CDU/CSU und die FDP als "einzig infrage kommende mögliche künftige Koalitionspartner" festgelegt. Viel praktischer aber sei es, über mögliche Minderheitsregierungen nachzudenken, besonders auf Landesebene. Das Sechs-Parteien-System mache solche Konstellationen wahrscheinlicher, was auch die aktuelle Diskussion in Sachsen-Anhalt zeige. Zwar müsse die AfD klarmachen, dass die Duldung von Minderheitsregierungen "das kleinere Übel" darstelle und ihre Bedingungen klar definieren, doch biete sich umgekehrt die Chance, "bei allen Beteiligten Vertrauen" aufzubauen. "Informelle Treffen" mit einzelnen Politikern aus CDU, CSU oder FDP könnten ebenfalls beitragen, zur gewünschten Vertrauensbildung. Man will weg von der "Fundamentalopposition".
Vor allem aber zeigt das Papier deutlich, dass sich die Partei über die Wirkung, die ihre extrem rechten Verbindungen und Aussagen einzelner Politiker wie eben Björn Höcke auf ihre Isolation und ihre Wahrnehmung bei den von ihr begehrten Wählergruppen hat, im Klaren ist. Es gelte, sich eindeutig vom rechten Rand abzugrenzen. Nur über das Aufbrechen des Images als "Ein-Thema-Partei", das über umfassende Positionierungen etwa in der Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik gelingen soll, kann ein Wahrnehmungswandel in der bürgerlichen Mitte nicht erreicht werden. Man müsse sich also fragen, was man selbst zum negativen Image bei vielen Wählern beitrage. "Verbalinjurien, belastete Vergleiche oder Entgleisungen bei der Wortwahl sind aber Instrumente von Splitterparteien", und eine solche sei man eben längst nicht mehr. Auch "unkritische Russland- und Putin-Verehrung" schrecke die bürgerlichen Wähler ab.
Provokationen, "strategisch geplant und gut durchdacht", seien aber weiterhin erforderlich. Distanzierungen von Äußerungen und Aktionen, die dem rechten Rand zuzuordnen seien, ebenso wie öffentliche Erklärungen zur Bereitschaft, mitzuregieren, "sind Daueraufgaben der AfD in den kommenden Jahren".
Persönliche Eindrücke gegen das rechte Image
Die allseits bekannten Verbindungen in die extrem rechte Szene und der völkisch-nationalistische Charakter des "Flügels" werden im Strategiepapier keineswegs klar angesprochen, geschweige denn als Problem für die Partei adressiert - sondern im Gegenteil als Ergebnis eines vermuteten Plans von öffentlich rechtlichen Medien und der Qualitätspresse, die AfD zu verurteilen, zu "zerlegen" und zu isolieren. "Die Partei will sich offensichtlich nicht zivilisieren, sondern eher die Zivilgesellschaft radikaliseren", sagt dazu der deutsche Politikberater und Experte für die Strategien der extremen Rechten, Johannes Hillje. In seinem Buch "Propaganda 4.0" hat er vor allem die Kommunikationsstrategie von extrem rechten und rechtspopulistischen Parteien analysiert.
Mit einer Verankerung in Vereinen und in der Zivilgesellschaft wolle die Partei versuchen, "die öffentliche Kritik an der Partei auszustechen". Persönliche Kontakte sollen das radikale Profil der Partei überdecken - für Hillje eine aus Sicht der AfD nachvollziehbare Strategie. Dem Vorstandspapier fehle aber jegliches Bewusstsein der AfD für ein mögliches Abrutschen weiterer Teile in den Extremismus. Im Gegenteil: Für den Kommunikationsexperten ist besonders auffällig, welches breite Reservoir an medialen Beeinflussungstechniken die AfD in Zukunft nutzen möchte.