USA zeigen sich bemüht, harsche Äußerungen Karzais herabzuspielen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Kabul. "Ich habe keine Antworten", beschied Afghanistans Präsident Hamid Karzai müde einer Delegation von Dorfbewohnern aus Kandahar, die am Freitag immer noch sichtlich aufgebracht von dem Amoklauf eines US-Soldaten ihrem Ärger im Präsidentenpalast in Kabul Luft machten. Die Afghanen zweifeln immer noch daran, dass es einem einzigen Soldaten allein gelingen konnte, ungehindert 16 Menschen in zwei Dörfern im Süden Afghanistans zu töten. Eine Untersuchungskommission des afghanischen Parlaments war nach zweitägiger Untersuchung vor Ort zum Schluss gekommen, dass 15 bis 20 Mitglieder der Nato-Truppe an der brutalen Mordserie im Panjwai-Distrikt am vergangenen Sonntag beteiligt gewesen sind. Gleichzeitig hatte Karzai angekündigt, ausländische Soldaten sollten ab sofort nichts mehr in afghanischen Dörfern zu suchen haben. Und er machte Druck auf die Nato, ihren für 2014 geplanten Abzug aus Afghanistan zu beschleunigen.
"Ich bin am Ende mit meinem Latein", sagte Karzai und warf den USA vor, bei der Untersuchung des Dorf-Massakers nicht zu kooperieren.
"Die Dörfer sind eineinhalb Kilometer von der amerikanischen Militärbasis entfernt. Wir sind überzeugt, dass ein Soldat innerhalb von einer Stunde nicht so viele Menschen in zwei Dörfern zur gleichen Zeit töten kann", erklärt der Abgeordnete Hamizai Lali aus Kandahar. Dorfbewohner hatten der Parlamentsdelegation erklärt, es seien zwei Gruppen von Soldaten nachts unterwegs gewesen. Für Wirbel sorgt auch das Überwachungs-Video aus der kleinen amerikanischen Basis in der Tatnacht, das die afghanische Seite angeblich nicht sehen durfte. Die Parlamentarier zeigen sich zudem verärgert darüber, dass der amerikanische Soldat bereits aus Afghanistan nach Kuwait ausgeflogen wurde. Viele Afghanen hätte es gern gesehen, wenn sich der Täter einem afghanischen Richter hätte stellen müssen.
Anwalt des Amokläufers dementiert Alkohol-Gerüchte
Der Todesschütze soll am Tag vor dem Amoklauf miterlebt haben, wie einer seiner Kameraden schwer verletzt wurde. Sein Anwalt, John Henry Browne, in Seattle im US-Bundesstaat Washington erklärte, der 38-jährige Feldwebel sei sehr unglücklich über seinen Einsatz in Afghanistan gewesen. Die US-Armee habe dem Familienvater zuvor versprochen gehabt, dass er nach seinen drei Irak-Einsätzen nicht noch in Afghanistan dienen müsse. Auch sei der Soldat bei seiner letzten Irak-Tour am Kopf und am Fuß verletzt worden. Dass der Mann zur Tatzeit betrunken und gestresst gewesen sei, wie andere Quellen behauptet hatten, wies der Jurist zurück.
Der Amokläufer, dessen Identität nach wie vor nicht bekannt ist, soll in Kürze in die USA gebracht werden, vermutlich nach Fort Leavenworth im Bundesstaat Kansas. Kuwait soll die Verlegung verlangt haben, weil es den mutmaßlichen Amokschützen nicht länger im Land behalten wollte.
Die USA bemühten sich unterdessen, die harschen Äußerungen von Afghanistans Präsident Karzai herunterzuspielen. Denn falls die Nato sich umgehend aus den Dörfern zurückziehen müsste, wäre eine Bekämpfung der aufständischen Taliban praktisch nicht mehr möglich.
Verhandlungen zwischen den USA und Afghanistan über ein strategisches Abkommen gingen ungeachtet der Entwicklungen weiter, hieß es am Freitag. Washington bekräftigte auch die Hoffnung, die am Donnerstag ausgesetzten Friedensverhandlungen mit den aufständischen Taliban weiterzuführen. Diese hatten in einem sichtlich von Frustration geprägten Statement einen Stopp der Gespräche angekündigt. Die Sondierungsgespräche zwischen den beiden Fraktionen im Wüstenemirat Katar hatten erst vor kurzem begonnen.
Mindestens 17 Tote bei Hubschrauberabsturz
Bei dem Absturz eines türkischen Nato-Hubschraubers in Kabul in ein Wohnhaus sind am Freitag mindestens 17 Menschen getötet worden. Der Helikopter stürzte aus noch ungeklärter Ursache in ein Haus nahe der Hauptstadt Kabul und fing Feuer. Bei den Toten handelte es sich um zwölf türkische Soldaten sowie fünf afghanische Zivilisten.
Die Nato schloss nach ersten Erkenntnissen einen Angriff als mögliche Absturzursache aus. "Vom Ort des Absturzes her sieht es so aus wie eine Notlandung", sagte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu.
Unklar blieb zunächst, ob auch afghanische Soldaten an Bord waren und ums Leben kamen. Ein Polizeisprecher hatte gesagt, der Helikopter sei auf einem Ausbildungsflug für afghanische Soldaten gewesen.
Die Türkei stellt rund 1800
Soldaten in der Nato-geführten Isaf. Ein Schwerpunkt der ausländischen Truppen ist die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei. Sie sollen spätestens 2014 die Verantwortung für die Sicherheit im ganzen Land übernehmen.