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Afghanistan braucht Zusammenarbeit

Von Fritz Edlinger

Gastkommentare
Fritz Edlinger ist Herausgeber der Zeitschrift "International" (www.international.or.at) und Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen" (GÖAB). Er hat bei zahlreichen Auslandsprojekten der GÖAB und auch bei früheren beruflichen Tätigkeiten beim Wiener Institut für Entwicklungsfragen (heute vidc) Erfahrungen im Bereich der Katastrophenhilfe und der Entwicklungszusammenarbeit sammeln können.
© privat

Die Shanghai Cooperation Organization - ein bisher völlig ignorierter regionaler Partner.


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Der "Deal" zwischen den USA und den Taliban ist ein weiteres Kapitel eines bereits jahrhundertelangen Konfliktes. Er hat - zumindest kurzfristig - die USA und andere westliche Staaten von einer gigantischen finanziellen Last befreit; ob er auch für das leidgeprüfte afghanische Volk eine bessere Zukunft bringen wird, ist fraglich. Gegenwärtig sieht es leider nicht allzu rosig aus. Offensichtlich ist keine der zahllosen Konfliktparteien in Afghanistan bereit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Hier kommt wieder einmal etwas zum Tragen, was sich bereits bei zahllosen (neo)kolonialen Konflikten in Asien und Afrika ereignet hat, dass anstelle von gewaltlosen und politischen Lösungsmodellen sich gewaltsame und militärische durchgesetzt haben. Dies hat sowohl in den westlichen als auch in den betroffenen Staaten unermessliche Opfer gefordert, wobei die Verteilung derselben leider sehr zu Lasten der sogenannten Dritten Welt ausgefallen ist.

Die auf Seiten der westlichen Staaten ausschlaggebende Ursache dafür ist die Einstellung der zivilisatorischen, kulturellen (natürlich auch wirtschaftlichen und militärischen) Überlegenheit gegenüber den als "unterentwickelt" betrachteten Staaten und Völkern. Die Kommunikation zwischen den westlichen und südlichen Regionen der Welt war und ist zumeist ein Dialog von Ahnungs- und Gehörlosen. Bei der Bewältigung des Sisyphus-Projektes "(Wieder-)Aufbau Afghanistans" droht eine Wiederholung dieses Szenarios. Man hat kaum eine Ahnung von den wirklichen Problemen und ist auch nicht bereit, dem jeweilig anderen zuzuhören, geschweige denn, mit ihm zu kooperieren.

"Hilfe vor Ort" - aber mit wem?

Der (Wieder-)Aufbau in Afghanistan wird nicht nur gigantische Mittel erfordern (im Vergleich zu den Unsummen der 20 Besatzungsjahre aber noch immer ein Klacks), sondern auch eine genaue Kenntnis der Gegebenheiten und die Mitwirkung möglichst vieler, durchaus unterschiedlicher Akteure. Und genau hier scheint das Hauptproblem zu liegen. Nachdem die US- und Nato-Akteure in den vergangenen 20 Jahren bewiesen haben, dass sie kläglich gescheitert sind, sollten die westlichen Staaten über ihren habituellen Schatten springen und sich auf die Suche nach regionalen und lokalen Partnern begeben. Leider tun sie genau das nicht. Wie man beim jüngsten runden Tisch zu Afghanistan in New York gesehen hat, beschränkt man sich - bewusst oder unbewusst? - auf den Kreis der üblichen Verdächtigen.

Dies steht in eklatantem Gegensatz zur Ankündigung etwa der österreichischen Bundesregierung, "Hilfe vor Ort" zu leisten. Die eingeladenen Gesprächspartner waren entweder internationale Organisationen oder großteils europäische Regierungsvertreter. Partner aus der Region spielten hier keine besondere Rolle. An deren wirklicher Mitwirkung scheint den selbsternannten Koordinatoren nicht gelegen zu sein. Leider wird diese eurozentristische Arroganz, verbunden mit einer weitgehenden Unkenntnis der lokalen Gegebenheiten, nicht nur von der überwiegenden Mehrheit des westlichen Führungspersonals, sondern auch von vielen Experten und Medien geteilt.

Dafür ein ganz aktuelles Beispiel: Die weltweit größte regionale Kooperationsvereinigung setzt sich nahezu ausschließlich aus Staaten der betroffenen Region zusammen. Die Shanghai Cooperation Organization (SCO) wurde am 15. Juni 2001 gegründet und repräsentiert derzeit knapp mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung sowie mehr als 20 Prozent der Weltwirtschaft, ihre Mitgliedstaaten umspannen ein Fünftel des eurasischen Kontinents. Neben der wirtschaftlichen Entwicklung (hier liegen besondere Schwerpunkte in den Bereichen Infrastruktur, Technik und Innovation) in Südostasien hatte von Anbeginn der Kampf gegen Terrorismus und Extremismus eine große Bedeutung. Der SCO gehören gegenwärtig China, Indien, Iran, Kasachstan, Kirgistan, Pakistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan an.

Bei der 21. Sitzung der SCO-Staatschefs am 16. und 17. September in der tadschikischen Hauptstadt Dushanbe nahm die Situation in Afghanistan eine besondere Rolle bei den Beratungen ein. Obwohl Afghanistan ein Beobachter in der SCO ist, war kein Vertreter des Landes anwesend, da es unter den Mitgliedern durchaus unterschiedliche Einschätzungen der Taliban gibt. In Vorbereitung der Tagung hatten die SCO-Außenminister eine ausführliche Stellungnahme ausgearbeitet. Sie brachten darin ihre Hoffnung auf ein "unabhängiges, neutrales, geeintes, friedliches, demokratisches und wohlhabendes Afghanistan" zum Ausdruck. Sie forderten eine Lösung der innerafghanischen Konflikte durch inklusiven Dialog sowie einen "Afghan-led and Afghan-owned" Friedensprozess.

Während die SCO also ihrerseits noch eine Reihe von Bedingungen hinsichtlich der innenpolitischen Entwicklung in Afghanistan formuliert hat, wurde ihre Bereitschaft zu einer aktiven Beteiligung am Wiederaufbau des zerstörten Landes klar zum Ausdruck gebracht. Dies wäre für europäische Ohren besonders wichtig, da auch die in der SCO aktiven Nachbarstaaten Afghanistans klar zum Ausdruck brachten, dass sie nicht bereit sind, für längere Zeit größere Mengen afghanischer Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. Die SCO und ihre Mitgliedstaaten sind somit alleine schon aus Eigeninteressen sehr an einem möglichst raschen und erfolgreichen Wiederaufbau Afghanistans interessiert.

Zur Exklusivität" westlicher Hilfe

Eigentlich sollte sich hier doch der Kreis schließen. Europa und die Anrainerstaaten Afghanistans haben ein gemeinsames Interesse, den Wiederaufbau im Land möglichst rasch und effektiv voranzutreiben. Wenn sich dahinter auch durchaus unterschiedliche Motive verbergen mögen, so sollte das doch für ein gemeinsames Vorgehen genutzt werden. Einem interessierten Beobachter stellt sich nun die Frage, warum derartige Möglichkeiten völlig ausgeklammert werden, ja selbst die Existenz der Shanghai Organization nicht einmal zur Kenntnis genommen wird, weder in der Politik noch in der Öffentlichkeit.

Es war daher höchst überraschend, dass die selbsternannten Wiederaufbaukoordinatoren der österreichischen Bundesregierung bei ihrer Suche nach lokalen Partnern die SCO bewusst (oder unbewusst) ignoriert haben. Dass die Organisation in den heimischen Medien in den vergangenen Wochen offenbar kein einziges Mal erwähnt wurde, hat diese Verwunderung nur noch weiter gesteigert. Offensichtlich ist man nicht bereit und willens, die Lehren aus dem 20-jährigen westlichen Afghanistan-Fiasko zu ziehen, und setzt die spektakulär gescheiterte Politik mit leicht modifizierten, aber im Wesen unveränderten Strategien fort.