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Afghanistan: Die Wahl wird zur Hängepartie

Von WZ_Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Nicht die Wähler entscheiden, sondern die Wahlbeschwerde- kommission. | Zehn Prozent aller Wahllokale müssen neu auszählen. | Neu Delhi. Die umstrittene Afghanistan-Wahl wird zur politischen Hängepartie: Die Wahlzettel von zehn Prozent aller Wahllokale müssen neu ausgezählt werden, weil es dort Hinweise auf Wahlbetrug gibt, gab die Wahlbeschwerdekommission in Kabul am Dienstag bekannt. Rund 2500 Wahllokale in allen Provinzen des Landes seien von der Anordnung betroffen, sagte der Kommissionsvorsitzende Grant Kippen. In der vergangenen Woche hatte das Gremium bereits Stimmzettel aus 83 Wahllokalen im Süden des Landes für ungültig erklärt. Damit verzögert sich die Bekanntgabe des Endresultats weiter, während die aufständischen Taliban das gefährliche Machtvakuum für sich nutzen.


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Inzwischen wird immer deutlicher, dass bei der Präsidentenwahl in Afghanistan nicht die Wähler das letzte Wort haben, sondern die von der UNO eingerichtete Wahlbeschwerdekommission, die unter Leitung des früheren kanadischen Politikers Kippen steht. Sie entscheidet letztlich, welche der Stimmen, die die Wahlkommission ausgezählt hat, für das Endresultat anerkannt werden und welche nicht.

Die Wahlkommission lässt sich viel Zeit mit dem Auswerten der etwa fünf Millionen Wahlzettel. Nach fast einem Monat sind etwa 93 Prozent der Stimmen gezählt. Keiner weiß, wann endlich die 100 Prozent erreicht sein werden.

Ringen um Stichwahl

Der amtierende Präsident Hamid Karzai hat die Nase vorn. Mit über 54 Prozent braucht er im Moment keine Stichwahl gegen seinen Kontrahenten Abdullah Abdullah zu fürchten, der nur auf 28 Prozent kommt. Doch je nachdem, welche Stimmen die Beschwerdekommission annulliert oder neu auszählen lässt, könnte Karzai doch noch unter die 50 Prozent-Marke fallen.

Denn Kippen hat offen gelassen, wie viele Stimmen neu ausgezählt werden müssen und aus welchen Gebieten sie hauptsächlich kommen. Im Süden des Landes gibt Karzai den Ton an, im Norden ist der frühere Außenminister Abdullah der Favorit. Abdullah hatte am Montag bereits eine Stichwahl gefordert, weil die Abstimmung sonst nicht legitim sei.

Aus Angst vor Gewalt und Anschlägen der Taliban hatten ohnehin nur etwa fünf von rund 15 Millionen Afghanen am 20. August von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Berichte über Stimmenkauf, Geisterwähler und vollgestopfte Wahlurnen in Stimmlokalen ohne einen einzigen Wähler machten die Runde. Über 2000 Klagen über Wahlmanipulation sind inzwischen bei der Beschwerdekommission eingegangen.

Die Verzögerung der Wahlergebnisse deutet aber auch darauf hin, dass hinter den Kulissen um einen brauchbaren Macht-Kompromiss gerungen wird. Falls sich die beiden politischen Kontrahenten Karzai und Abdullah irgendwie in eine Regierung spannen lassen, wären die zweifelhaften und umstrittenen Wahlen rasch vergessen.

Der Westen könnte die Abstimmung dann doch noch als Erfolg verkaufen und Afghanistan hätte immerhin einen neu gewählten Präsidenten. Falls das nicht gelingt, steht noch eine lange Stimmauszählung und vielleicht sogar noch eine Stichwahl bevor, die sich ähnlich kompliziert gestalten könnte. Das Land mit seinen vielen ethnischen und sozialen Spannungen könnte dann noch weiter aus den Fugen geraten. Anhänger von Karzai und Abdullah könnten auf die Straße gehen, um für ihren Kandidaten und gegen den Betrug der anderen Seite zu protestieren.