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Afghanistan will Normalität

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Der beste Weg, das kriegsgeschüttelte Afghanistan zusammenzuschweißen, ist den Menschen das zu geben, was alle wollen - zum Beispiel Musik.


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Wenn man Berichte über Afghanistan liest, kann man depressiv werden. Die Aufständischen werden immer stärker, die USA wollen weitere 20.000 Soldaten entsenden - und doch gibt sogar US-Verteidigungsminister Bob Gates zu, dass die US-Soldaten in Afghanistan keine Langzeitlösung darstellen. Was also ist zu tun?

Um das zu klären, ist es hilfreich, einmal mit afghanischen Bürgern wie Saad und Jahid Mohseni zu sprechen, die täglich mit diesen Problemen zu kämpfen haben. Die Brüder sind Medienmacher, mitten in der Kriegszone in Kabul. Sie denken aber nicht ans Aufgeben, sondern ersinnen immer wieder neue Überlebensstrategien.

Zum ersten Mal traf ich die Mohsenis letzten April in den Räumlichkeiten ihrer "Moby Media Group" in Kabul. Vorige Woche waren wir erneut verabredet, diesmal in Washington, und was sie mir erzählten, überzeugte mich davon, dass viele Verantwortliche in den USA die wahre Gefahr in Afghanistan falsch einschätzen.

Was das Demokratie-Experiment Afghanistans zerstören wird, sind nicht so sehr die Taliban und andere aufständische Gruppen, sondern die Gesetzlosigkeit und Korruption, die sich unter der Regierung von Präsident Hamid Karzai eingenistet haben. Die größte Gefahr, der sich die Mohseni-Brüder ausgesetzt sehen, ist nicht ein Angriff von Taliban-Kämpfern, sondern ein Kidnapping durch eine der kriminellen Banden, die ein normales Leben in Kabul unmöglich machen. "Das Wiederaufleben der Taliban ist das Ergebnis des Hungers der Menschen nach Gesetz und Ordnung", sagte mir Saad Mohseni.

2001, nach dem Sturz der Taliban, kehrten die Mohsenis heim, um ihr Unternehmen aufzubauen. Tolo TV, ihr Hauptsender, strahlt Shows aus, die das neue Afghanistan symbolisieren. Das reicht von investigativem Journalismus bis zu "Afghan Star", einer Musikshow auf der Suche nach den besten Amateursängern - in einem Land, in dem die Taliban Musik verboten haben und man, wie es in der Ankündigung heißt, sein Leben riskiert, um zu singen. Elf Millionen Menschen, ein Drittel der Bevölkerung, verfolgten die Wahl des Siegers.

Das ist die erste Lektion, die die Mohsenis daraus gelernt haben: Der beste Weg, ihr kriegsgeschütteltes Land zusammenzuschweißen ist, den Menschen das zu geben, was alle wollen, - ist zum Beispiel Musik. Das gleiche Prinzip könnte aber auch wirksam werden, würde die Regierung für Recht und Ordnung sorgen.

Natürlich bringt die Arbeit der Mohsenis muslimische Konservative auf, aber ein Kompromiss ist bereits ausgehandelt worden. Das gibt Hoffnung, dass auch ein ähnlicher Weg aus dem Chaos, in dem Afghanistan steckt, gefunden werden kann.

Die Mohsenis haben zu den Bollywood Soaps und Sendungen wie "Laugh Bazar" mittlerweile die in der Türkei produzierte Serie "Secret World", die auf islamischen Prinzipien basiert, ins Programm genommen. Das versöhnte die Ulemas - und es war ein großer Publikumserfolg.

Auch eine neue Show gibt es: Gesucht wird nun der beste Koran-Rezitator. Die Jury besteht aus islamischen Rechtsgelehrten. Ein großer Erfolg. Sehr erfolgreich lief auch "Hadith of the Day", das Aussprüche Mohammeds brachte.

Afghanische Bürger wollen offenbar, wie andere auch, ein normales Leben, ein annehmbares Einkommen, Sicherheit, um ihre Kinder großzuziehen und gute Fernsehsendungen. 20.000 US-Soldaten können zwar helfen, mehr Sicherheit zu schaffen, aber der wirkliche Durchbruch wird erst gelingen, wenn die afghanische Regierung ihre Bürger schützt, statt zuzulassen, dass kriminelle Banden sie weiter zu terrorisieren.

Übersetzung: Redaktion