Termin für Präsidentschaftswahl fixiert - neue Generation in den Startlöchern.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Kabul. Letzte Woche wurde in Afghanistan der Termin für die Präsidentschaftswahlen mit dem 5. April 2014 fixiert. Der amtierende Präsident Hamid Karzai darf nach zweimaliger Präsidentschaft nicht mehr antreten. Somit richtet sich die Aufmerksamkeit auf die langsam wachsende, neue politische Elite, die bereits begonnen hat, das Land zu transformieren.
Doch wer sind die neuen Köpfe? Eine Antwort auf diese Frage hat Davood Moradian, der Leiter des Afghanischen Institutes für Strategische Studien in Kabul. Seit Jahren beschäftigt sich der Politologe mit den Aussichten dieser neuen Eliten und dem Einfluss religiöser Gruppierungen im Land am Hindukusch. An der Spitze fehle noch ein populärer Führer in Afghanistan, der die Menschen mobilisieren und die Massen inspiriere, sagt Moradian im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Auf der zweiten Ebene der politischen Führung fände man jedoch schon aussichtsreiche Kandidaten und aufstrebende Gruppierungen.
Eine Gruppe seien die Söhne der ehemaligen Warlords und jetzigen politischen Führer. Der Großteil von ihnen erlangte im Westen moderne Bildung, viele sind bereits in höheren politischen Positionen etabliert. In Afghanistan erwarte man, dass bald die Führung von den "alten, langbärtigen Traditionalisten" übergehe auf diese neue Generation der semi-urbanisierten Technokraten.
Aber auch innerhalb der Zivilgesellschaft fänden sich - ungeachtet aller Drohungen, die viele politische Aktivisten erhalten - immer mehr Initiativen. Die Gruppe "1400" etwa ist ein Zusammenschluss von Afghanen zwischen 30 und 35 Jahren, die führende Positionen in der afghanischen Regierung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft einnehmen. "In dieser Gruppe gibt es viele potenzielle Führer", sagt Moradian. Sie stünden aber erst am Beginn ihrer Tätigkeit, hätten noch keine zuverlässige Agenda oder namhafte Unterstützer. Die alte Generation würde von Pakistan, dem Iran oder der Türkei nach wie vor unterstützt. Neu für das Land ist, dass die Gruppe "1400" pan-afghanisch ist, sich also auf keine spezielle Ethnie berufe und zudem keine religiöse Agenda habe. Der Nachteil davon sei jedoch, dass es ihnen dadurch schwerer falle, die Massen zu mobilisieren, sagt Moradian. Sie sähen sich aber ohnehin als langfristiges Projekt, das zeige schon die Namenswahl - das Jahr 1400 ist nach gregorianischer Zeitrechnung 2022.
Die AKP als Vorbild
"Die traditionellen religiösen Gemeinden in Afghanistan haben ihren Einfluss verloren", sagt Moradian. Das liege daran, dass die aufstrebende politische Elite - die modernen, verwestlichten Technokraten - nicht mehr auf die "klassischen" Mullahs höre. Mittlerweile hätten sie daher eine neue Rolle als lästiger "Störenfried" eingenommen, indem sie bei jeder Möglichkeit die Regierung kritisierten.
Indes würde eine zweite Gruppe an Mullahs sich - noch relativ unbemerkt - politisch betätigen, indem sie sich der semi-urbanisierten, gebildeten Jugend zuwenden und ihnen einen Zufluchtsort bieten, in der Hoffnung, dadurch potenzielle Führer für ihre Anliegen zu gewinnen. Sie würden beginnen, das türkische Modell der AKP zu kopieren und darauf hoffen, in etwa zehn Jahren über Einfluss zu verfügen. "Das ist der Unterschied zum Westen - die Islamisten denken langfristig", sagt Moradian.
Die religiöse Gruppe im Land, die die westliche Wahrnehmung dominiert, sind die Taliban. "In Wirklichkeit sind sie unbedeutend", überrascht Moradian. Sie seien eine Gruppe von maximal 30.000 Menschen, hätten den Afghanen nichts anzubieten, ihre Konzepte seien unpopulär. Ihre Bedeutung erhielten sie nur, weil sie von verschiedensten Playern - sei es Präsident Karzai oder Pakistan - dazu benutzt würden, um deren Agenda voranzutreiben. Laut Moradian werden die Taliban - aller Bemühungen der Regierung zum Trotz - nie an einem normalen demokratischen Prozess teilnehmen, denn dies widerspräche ihrer Ideologie.