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Wenn die Israelis am Montag ein neues Parlament und ihren Regierungschef wählen, dann stehen sie vor der Entscheidung zwischen einer linksliberal-säkularen oder einer reaktionär-orthodoxen | Ausrichtung ihrer Gesellschaftsordnung für die kommenden vier Jahre. Für die Palästinenser ist der Wahlausgang eine Frage des politischen Überlebens.
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Sollten Benjamin Netanyahu und seine Likud-Partei tatsächlich neuerlich die Regierung stellen, wäre dies der endgültige Dolchstoß für den bereits seit Monaten im Koma versunkenen Friedensprozeß.
Darin sind sich der PLO-Vertreter Afif Safieh und Akiva Eldar, Journalist der israelischen Tageszeitung "Haaretz" einig, wie sie in einem von der UNO in Madrid veranstaltenten internationalen
Seminar über die Perspektive des palästinensischen Friedensprozesses deutlich machten. Netanyahu wollte keinen Frieden oder er wollte vielmehr keinen Preis dafür zahlen.
Gewinner oder Verlierer
Safieh, palästinensischer Botschafter in den Niederlanden und zuvor in London, zieht eine bittere Bilanz der isaelischen Okkupations- und Siedlungspolitik. "Wir wurden zu den Juden der Juden", und
daran habe sich auch acht Jahre nach der ersten Nahost-Friedenskonferenz in Madrid 1991 und sechs Jahre nach dem Interimsabkommen von Oslo nicht viel geändert. Die Politik Netanyahus, für die die
Arbeiterpartei, die Israel bis Juni 1996 regierte und 1967 im Sechs-Tage-Krieg das Westjordanland einschließlich Ostjerusalems annektierte, die Grundfeste legte, sei durch nichts zu rechtfertigen.
"Es kann nur zwei Gewinner oder zwei Verlierer in dem palästinensich-israelischen Konflikt geben," warnt der PLO-Vertreter. Israel müsse zur Kenntnis nehmen, daß sowohl seine politischen als auch
wirtschaftlichen Beziehungen zu den arabischen Ländern ohne eine Aussöhnung mit den Palästinensern Utopie bleiben werden. "Wir sind der Schlüssel zur Akzeptanz Israels in der Region". Israel muß sich
daher nun entscheiden, ob es längerfristig in den besetzen Gebieten oder im Nahen Osten eine wichtige Rolle einnehmen wolle. Die Normalisierung der Beziehungen zu seinen Nachbarn werde das Ergebnis
des Friedensprozesses sein, und nicht seine Vorausbedingung.
Die Lösung des Konflikts lautet "100 Prozent Frieden für 100 Prozent Land · und nicht weniger". Dies sei ja auch so ausgemacht.
Gleichzeitig fordert Safieh eine Rücknahme der unter Netanyahu massiv verstärkten Siedlungspolitik. Eine Rückholaktion der Siedler muß bei den Friedensverhandlungen auf den Tisch kommen, fordert er
ganz unverblümt. "Die Siedler sind bei der israelischen Öffentlichkeit nicht gerade besonders beliebt, warum sollen ausgerechnet wir sie wollen?" An der Ausrufung eines eigenen palästinensichen
Staates sieht das Mitglied der palästinensichen Generalversammlung keinen Weg mehr vorbei. Lange genug sei über eine mögliche · gerechte · Koexistenz unter einem Dach geredet worden. Das Ergebnis
liege auf der Hand. Von der Staatengemeinschaft wünscht sich Safieh klarere Worte, was sie von Israel erwarte. "Damit sich Israel danach richten kann". Vor allem Europa müsse künftig eine von den USA
abgekoppelte, eigenständige Rolle im Friedensprozeß einnehmen.
Netanyahu austricksen
Eldar, Journalist der renommierten "Haaretz", sieht bei einer Fortsetzung der rechtskonservativen Regierungskoalition von Netanyahu kaum Chancen auf eine echte Friedenslösung. "Wir müssen
ihn austricksen", das kann nur (Oppositionsführer Ehud) Barak, auch wenn er nicht der beste Mann für dieses Amt ist".
Die Okkupation der Palästinensergebiete ist nicht nur aus "philanthropischer Sicht" schädlich, meinte Eldar, sie widerspreche auch massiv den Interessen des Landes. Israel habe sich unter der
jetzigen Führung in die außenpolitische Isolation manövriert und selbst die USA, Israels Hauptverbündeter, zeigten der politischen Führung die kalte Schulter. Wie anders sei zu erklären, daß
Palästinenserpräsident Yasser Arafat von Bill Clinton in den vergangenen Montaten zwei Mal empfangen wurde, während "Netanyahu gerademal nach Moskau und in die Ukraine" reiste mit dem Unterschied,
daß Arafat auch nach Moskau reisen kann, Netanyahu aber nicht nach Washington", hinterfragt Eldar. Ökonomisch kann Israel an einem prosperierenden Markt in den besetzten Gebieten nur profitieren, die
extrem hohe Arbeitslosigkeit dort sei ein enormer Bremsfaktor. "Wir müssen den Kuchen teilen, oder wir essen gemeinsam nur trockene Kekse."
Trotz aller berechtigter Kritik an Netanyahu darf aber nicht übersehen werden, daß er der erste israelische Regierungschef war, der sich dazu verpflichtet hat, "heiliges jüdisches Land" an die
Palästinenser zurückzugeben, erinnert Eldar. Im Oktober 1998 hatte Israel unter der Schirmherrschaft von US-Präsident Bill Clinton im Abkommen von Wye Plantation nach langem Ringen zugestimmt, 14,2
Prozent des von Israel verwalteten Gebiets im Westjordanland an die Palästinenser zu übertragen. "Das ist mehr, als (Ex-Premier Yitzhak) Rabin den Palästinensern gab", gibt Eldar zu verstehen.
Allerdings hat Netanyahu seine Versprechen nicht eingelöst. Der nächste Premier werde aber hier ansetzen können · "egal, wie er heißt. Ich hoffe, nicht Netanyahu. Aber immerhin: Wir sind weiter als
je zuvor".
Geduld, Geduld
Dennoch warnt Eldar vor übersteigerten Hoffnungen: auch unter Barak, sollte er den Urnengang gewinnen, und danach sieht es nach aus, wird die Umsetzung der Vereinbarungen nicht über Nacht erfolgen
können.
Auch der im November 1995 wegen seines eingeschlagenen Friedenskurses von einem radikalen Israeli ermordete Premierminister Yitzhak Rabin habe vier Jahre gebraucht, um das israelische Volk zu
überzeugen, daß der Friedensprozeß gut ist. Beide Seiten, Israelis wie Palästinenser, würden in Zukunft eine gute Portion Pragmatismus brauchen, um die anstehenden Probleme zu meistern. Der EU wirft
Eldar vor, die Beziehungen zu Israel · etwa beim Handel · nicht an Fortschritte im Friedensprozeß geknüpft zu haben.
Auch mit Kritik an der Siedlungspolitik Netanyahus spart der "Haaretz"-Journalist nicht. Beim Austausch "Land gegen Frieden" werde Israel nicht umhinkommen, den von den jüdischen Siedlern
vereinnahmten Lebensraum in den besetzten Gebieten den Palästinensern zurückzugeben · sei es etwa auch, indem israelisches Kompensationsgebiet zur Verfügung gestellt werde.