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Afrika, der ungeimpfte Kontinent

Von Florian Koch

Politik

Nur drei Prozent der Afrikaner sind vollimmunisiert. Eine WHO-Initiative zur Impfstoffverteilung scheiterte.


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Es war ein Zufall, dass Marcus Bachmann gerade an diesem Tag im März in Abuja, der Hauptstadt von Nigeria, für seinen Einsatz mit der Organisation Ärzte ohne Grenzen landete. Genau am gleichen Tag und zur selben Stunde erreichte ein Frachtflugzeug den Flughafen. Es brachte die ersten Impfdosen für Nigeria. Knapp vier Millionen Dosen waren geliefert worden, hergestellt vom indischen Serum-Institut in Pune. "Das klingt im ersten Moment sehr viel, aber wenn man das in Bezug zur Bevölkerung setzt, dann konnte man damit gerade ein Prozent der Bevölkerung immunisieren", erklärt Bachmann im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Nicht einmal die Höchstrisikogruppen, allen voran das medizinische Personal auf Covid-Stationen, ließen sich damit komplett schützen.

Nigeria ist nur eines der Länder auf dem afrikanischen Kontinent, das sich derzeit fest im Griff einer dritten Welle befindet, ausgelöst von der hochinfektiösen Delta-Variante. Im vergangenen Juli wurde die Mutation in 21 der 54 afrikanischen Staaten identifiziert. Zu Wochenbeginn verzeichnete Afrika laut Statistik 23.400 Neuinfektionen pro Tag, über 200.000 Menschen starben hier bisher infolge einer Infektion.

Über Länder hinweg sind die Krankenhäuser gefüllt, es mangelt vielerorts an Sauerstoffvorräten, Intensivbetten und Personal. Das Wiederaufflammen drängte viele Regierungen dazu, neue Lockdowns zu verhängen, Ausgangssperren zu verlängern oder Schulen zu schließen.

Ungleiche Impfquoten

Während in der EU knapp 70 Prozent der Erwachsenen vollimmunisiert sind, sind es auf dem afrikanischen Kontinent gerade einmal drei Prozent, die laut der panafrikanischen Gesundheitsbehörde Africa CDC vollimmunisiert sind. Nur fünf Prozent erhielten bisher eine Erstimpfung. "Da sehen wir, wie riesengroß diese Impfstofflücke zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden ist", sagt Bachmann. Das Ziel der Afrikanische Union, bis Ende des Jahres 20 Prozent der Bevölkerung zu immunisieren, erscheint in weiter Ferne. Und während in reichen Ländern bereits über Zweit- und Auffrischungsimpfungen diskutiert wird, könnte es selbst in einem Jahr nicht genug Lieferungen geben, um die Nachfrage von 1,3 Milliarden Menschen in Afrika zu bedienen.

Die Bevölkerung breitflächig zu immunisieren, stellt für viele afrikanische Länder jedoch den einzigen Ausweg aus der Pandemie dar. Helfen soll vor allem die Initiative Covax, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Zusammenarbeit mit der Global Alliance for Vaccines and Immunization (Gavi) und der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Cepi) ins Leben gerufen wurde, um die globale Impfstoffverteilung zu koordinieren.

 

Laut Felix Stein, der an der Universität von Oslo zu globaler Gesundheit forscht und Covax genauer untersucht, diente die Initiative zunächst als "Kaufclub", in dem sich alle Länder zusammenschlossen, um Impfstoff zu kaufen und untereinander zu verteilen. Zudem floss Geld von Covax zur Pharmaindustrie, damit diese den Impfstoff schneller herstellt. Nun koordiniert die Initiative Impfstofflieferungen von reicheren an ärmere Länder. Österreich fördert Covax laut dem Außenministerium mit fünf Millionen Euro. Viele afrikanische Staaten sind abhängig von dem Verteilungsmechanismus, hoffen sie nicht zuletzt auf kostenlose und schnelle Lieferungen.

Schwierige Lieferung

Der Lieferprozess gestaltet sich jedoch als schwierig. Ursprünglich hatte die nigerianische Regierung geplant, alle knapp vier Millionen Dosen, die das Land im März erreicht hatten, für die erste Teilimpfung von entsprechend vier Millionen Einwohnern zu verwenden. Mit der zweiten Covax-Lieferung sollten die Impfungen komplettiert werden. Doch das Gesundheitsministerium musste die Impfkampagne abrupt stoppen, nachdem die Pandemie in Indien außer Kontrolle geriet und die dortige Regierung einen Exportstopp auf Impfstoffe veranlasste.

Die Folge: Nur die Hälfte der Dosen konnte in Nigeria verimpft werden, der Rest musste für die Zweitimpfungen eingelagert werden. Mittlerweile nehmen Verantwortliche bei Covax an, dass sie bis Oktober nicht mehr als 200 Millionen Dosen nach Afrika liefern werden können. Eine Menge, die lediglich für knapp sieben Prozent der Bevölkerung reicht. Ist die globale Initiative, die sich für eine gleichmäßige Impfstoffverteilung einsetzen soll, gescheitert?

Nur 177 Millionen Dosen

"Es gibt meiner Meinung nach zwei klare Indikatoren, die zeigen, dass Covax bisher nicht funktioniert hat und keine Erfolgsgeschichte ist", sagt Stein. Die ungleiche Verteilung sei der erste Grund, die Unterschiede zwischen den Impfquoten zeige dies deutlich. Und auch die Ziele, die sich die Initiative gesetzt hat, sind weit von dem entfernt, was sie bisher erreicht hat: Covax versprach, bis Ende heurigen Jahres zwei Milliarden Impfstoffe über die Welt zu verteilen. Bis jetzt wurden laut Reuters nur knapp 177 Millionen Dosen verteilt, weniger als zehn Prozent des Ziels. "In den kommenden drei bis vier Monaten 90 Prozent des ursprünglich geplanten Ziels zu erreichen, ist nicht sehr realistisch", sagt Stein.

Impfstoffe über Covax zu erhalten, bleibt daher eine der wenigen Möglichkeiten, die der Kontinent hat. Fast alle Impfstoffe, die im Jahr 2021 hergestellt werden, sind laut der Analytics-Firma Airfinity bereits verkauft. Über Covax erhielt Nigeria mittlerweile vier Millionen Moderna-Impfdosen von den USA.

Fragile Kühlkette

Doch Impfstoffe wie diese stellen die lokalen Behörden vor die Herausforderung, diese bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt zu transportieren, bis in Regionen, denen es an der nötigen Infrastruktur fehlt. Bachmann kennt dieses Problem von vergangenen Ebola-Einsätzen. "Es war ein Albtraum, dafür zu sorgen, dass keine Impfdosen verloren gehen, indem die Kühlkette unterbrochen wird." Zudem werde Impfstoff häufig mit einer sehr knappen Restlaufzeit gespendet, was den Druck auf Länder wie Nigeria bei der Verteilung erhöhe.

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Bachmann und Stein sind sich einig, dass die Pandemie nicht unter Kontrolle gebracht werden könne, solange die Impfquoten im globalen Süden so niedrig sind. "Es ist eine Hybris zu glauben, dass wir eine Pandemie auf einer Insel der Seligen lösen können", sagt Bachmann. Während der globale Norden hunderte Millionen Impfdosen horte, bereite man durch die ungleiche Impfstoffverteilung den Boden für weitere Mutationen, die sich rasch über den gesamten Erdball ausbreiten. Wenn das Risiko für Mutationen hoch ist, sei eine Abschottung für den globalen Norden laut Felix Stein alleine aus einer egozentrischen Perspektive eine sehr schlechte Strategie.

Bei der afrikanischen Bevölkerung zumindest hat die ungleiche Impfstoffverteilung längst Spuren hinterlassen. "Menschen in Nigeria und in vielen anderen afrikanischen Staaten bekommen sehr genau mit, wie die Sache läuft", sagt Bachmann. "Das wird nicht nur jetzt, sondern auch zukünftig den Umgang des globalen Nordens mit dem globalen Süden mitprägen und noch sehr lange nachklingen."