Kampf um die politische Macht ist Kampf um Erdölgelder. | Zivilgesellschaft schaut Elite immer mehr auf die Finger. | Abuja. Nigerianische Politiker betrachten ihr Land gerne als Giganten Afrikas. Tatsächlich hätte Nigeria alle Voraussetzungen dafür: Kein Land auf dem Kontinent hat annähernd so viele Einwohner wie der westafrikanische Staat mit seinen 150 Millionen Bürgern, und jedes Jahr bekommt Nigeria durch die Erdölförderung Milliarden Dollar in die Staatskassen gespült.
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Doch Nigeria ist ein Riese, der auf wankenden Beinen steht. Im Niger-Delta, wo das Öl gefördert wird, werden Pipelines in die Luft gejagt, Mitarbeiter der Ölmultis entführt. Tausende Menschen starben bei Kämpfen zwischen Christen und Moslems. Und das Ausmaß der Korruption ist sowohl bei hochrangigen Politikern als auch in kleinen Amtsstuben berüchtigt.
Nun befindet sich Nigeria, das von manchen Beobachtern gar als unregierbar bezeichnet wird, mitten in einem Wahlmarathon. Am vergangenen Wochenende wurde ein neues Parlament bestimmt, diesen Samstag folgt die Präsidentenwahl, und am 26. April geht es um die Gouverneure.
Noch nie war die Hoffnung so groß, dass die Urnengänge fair und friedlich verlaufen, sagte im Vorfeld der Wahlen der Generalvikar des nigerianischen Bundesstaates Enugu, Obiora Ike, bei einem Wien-Besuch. Auch Politiker sprechen von einem Neuanfang. Die Erinnerung an das letzte Votum 2007 sitzt tief: Damals kosteten gewaltsame Auseinandersetzungen etwa 300 Menschen das Leben, und Manipulationen halfen nach, dass Umaru YarAdua mit großer Mehrheit Präsident wurde.
Anschläge bei der Parlamentswahl
Doch auch dieses Jahr kam es bei der Parlamentswahl schon zu Gewalt: Wahllokale wurden angegriffen, mehrere Bombenanschläge forderten 13 Tote. Dabei gilt die Parlamentswahl als wesentlich unbedeutender als der Wettstreit um die Präsidentschaft. Die Volksvertretung - in der die Regierungspartei Peoples Democratic Party (PDP) trotz Verlusten ihre Mehrheit halten konnte - wird eher als Elfenbeinturm wahrgenommen, wo man wenig mit den Interessen der Bevölkerung anzufangen weiß.
Bei der Präsidentenwahl ist Amtsinhaber Goodluck Jonathan Favorit. Er hatte das Amt von YarAdua nach dessen Tod im vergangenen Jahr übernommen. Dass Jonathan, dessen Markenzeichen der schwarze Filzhut ist, überhaupt antritt, hat aber ein ungeschriebenes Gesetz innerhalb der regierenden PDP gebrochen. Der 53-Jährige ist ein Christ aus dem Süden des Landes, doch nach dem Rotationsprinzip wäre eigentlich ein Kandidat aus dem moslemischen Norden an der Reihe.
Während viele Beobachter einen Fortschritt darin sehen, dass der Kandidat nicht mehr nach seiner Herkunft bestimmt wird, wittert die neu gegründete All Nigeria Peoples Party genau darin ihre Chance. Sie hat Muhammadu Buhari ins Rennen geschickt, der Ex-Militärmachthaber ist ein Moslem aus dem Norden.
Ein ganz anderes Zeichen setzt der Action Congress mit der Kandidatur von Nuhu Ribadu. Dieser hatte sich als Leiter einer Anti-Korruptionsbehörde mit hochrangigen Politikern angelegt. Dann wurde er unter dubiosen Vorwänden abgesetzt. Er wurde bedroht, musste um sein Leben zittern und verschwand aus der Öffentlichkeit. Nun ist er zurück und will erneut mit den alteingesessenen Politikern aufräumen.
Wähler namens Bill Gates oder Bob Marley
Allein die Kandidatur von Ribadu würde zeigen, dass die Eliten langsam aufgebrochen werden, heißt es aus dem Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in der Hauptstadt Abuja. Seit der Unabhängigkeit 1960 haben in Nigeria dieselben Familien das Sagen - daran haben auch das Ende der Militärdiktatur 1997 und der Wechsel zur Demokratie wenig geändert.
Doch nun wird den Mächtigen verstärkt von der Zivilgesellschaft auf die Finger geschaut. Immer mehr Initiativen wollen etwa die öffentlichen Ausgaben stärker überprüft wissen. Und auch die Politik ging auf die Zivilgesellschaft zu. Präsident Jonathan ernannte mit Attahiru Jega einen angesehen Demokratieaktivisten zum Leiter der Wahlkommmission. Seine Berufung hat die Hoffnung auf faire Wahlen gestärkt, doch diese sind keineswegs gesichert.
Jega hat zwar die Wählerlisten von Phantomwählern namens Bob Marley oder Bill Gates gereinigt. Doch noch immer sollen sich hunderttausende Verstorbene, Kinder oder fiktive Gestalten in dem Register befinden. Und auch sonst wird bei Wahlen in Nigeria oft mit harten Bandagen gekämpft: Es fließen Bestechungsgelder, bewaffnete Gangs schüchtern Wähler ein. Denn es geht um viel. Wer die politische Macht hat, sitzt auf dem größten Schatz des Landes, den Erdöleinnahmen. Dies gilt vor allem auch für die Gouverneurswahlen in den erdölreichen südlichen Bundesstaaten.
Fahre man durch Nigeria, "fragt man sich, wo das Ölgeld eigentlich hingeflossen ist", sagt eine Politanalystin der deutschen Böll-Stiftung zur "Wiener Zeitung". "Im Nigerdelta haben die Gemeinden, wo das Öl gefördert wird, nicht einmal Wasserhähne und keine Elektrizität."
Armut schürt Gewalt und Konflikte
Während Häuser und Autos der Elite immer protziger werden, leben 70 Prozent der Nigerianer von weniger als einem Dollar am Tag. Genau diese Armut schafft Konflikte. Auseinandersetzungen, die sich als ethnische oder religiöse Gewalt manifestieren, sind oft nichts anderes als Verteilungskämpfe unter den Ärmsten.
Diese standen aber bisher nur bei Wahlkämpfen auf der Agenda von Politikern. Und selbst da fühlten sich die Nigerianer oft wegen Fälschungen um ihre Stimme betrogen. Wahrlich faire Wahlen wären laut Beobachtern der erste Schritt, um das Vertrauen in die Politik zu stärken und mehr Transparenz zu schaffen in einem Staat, in dem so viel Reichtum auf Auslandskonten versickert.