Vermehrt kommen Syrer aus Afrin nach Bosnien, um weiter nach Kroatien zu gelangen.
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Sarajevo. Über fehlenden Zulauf kann sich Recep Tayyip Erdogan nicht beschweren, wenn der türkische Staatspräsident am kommenden Sonntag seine umstrittene Wahlkampfveranstaltung in Sarajevo abhält. Zehntausende Besucher werden in der bosnischen Hauptstadt erwartet, zahlreiche türkische Staatsbürger aus anderen Ländern werden sich zudem auf den Weg machen. Viele Hotels in Sarajevo sind bereits ausgebucht, die Preise der verbliebenen Zimmer auf Internet-Buchungsplattformen sind in die Höhe geschossen.
In EU-Ländern wie Österreich, Deutschland oder den Niederlanden mag Erdogan nicht willkommen sein - das Thema Wahlkampfauftritte vor der türkischen Diaspora sorgte in den letzten Jahren für einige diplomatische Zerwürfnisse. In Sarajevo dagegen wird seine Rede vor den vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ein Ereignis, das die ganze Stadt in Atem hält.
Schauplatz ist die Olympia- Halle im Zentrum der Hauptstadt, die 20.000 Besucher fasst. Organisiert wird der Auftritt von der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die im Ausland recht unverhohlen die Belange von Erdogans AKP vertritt. Auf dem Balkan ist sie seit Neuestem mit einer eigenen Schwester-Organisation vertreten. Die Union Europäischer Balkan-Demokraten (UEBD) wurde im Februar ins Leben gerufen. Nach Berichten des TV-Senders N1 will die UEBD allein aus Mazedonien 50 Busse organisieren.
Nun ist die Zuneigung aber auch in Sarajevo nicht ungeteilt. Da gibt es die Geschäftsleute, Mietwagen-Agenturen und Hoteliers, die sich über den besonderen Umsatz freuen. Auf politischer Seite geht die Unterstützung vor allem auf die nationalistische Partei der Demokratischen Aktion (SDA) zurück, die von Bakir Izetbegovic geleitet wird, Sohn des ehemaligen bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic. Der heutige Vertreter der bosnischen Muslime im Staatspräsidium verteidigte den Auftritt Erdogans gegen Kritik: Das Problem der Europäer sei, "dass er ein mächtiger muslimischer Führer ist, wie es schon einige Zeit keinen mehr gab".
"Unser Sultan"
Viele nicht-muslimische Bosnier haben einen etwas anderen Blickwinkel. Man wirft Erdogan vor, Bosnien als Vasallenstaat zu behandeln. In einer Facebook- Gruppe wurde er "Diktator" genannt. Allerdings äußern sich andere User auch begeistert und heißen ihn als "unseren Sultan" willkommen.
Erdogans Besuch ist indes nicht das erste Mal, dass Europa mit Befremden nach Bosnien schaut. In Sarajevo wurde nämlich auch der knappe Sieg des Präsidenten im letztjährigen Verfassungsreferendum mit Autokorsos und türkischen Fahnen auf der Straße gefeiert. Bakir Izetbegovic hatte damals das Ergebnis begrüßt, da es "in der gesamten Region Stabilität" gewährleiste.
Überdeutlich ist, dass die Türkei nicht zuletzt wirtschaftliche Motive verfolgt - in Bosnien, aber auch auf dem Balkan in weiterem Rahmen. Anfang Mai empfing Erdogan seinen serbischen Amtskollegen Aleksandar Vucic in Istanbul. In diesem Rahmen wurde ein Abkommen über eine von der Türkei finanzierte Autobahn bekanntgemacht, die Belgrad mit Sarajevo verbinden soll. Bereits letzten Herbst verkündete der türkische Landwirtschaftsminister Ahment Esref Fakibaba bei einem Besuch in der bosnischen Hauptstadt, das Handelsvolumen der beiden Länder auf eine Milliarde Euro steigern zu wollen. Aktuell liegt es bei 500 Millionen Euro.
Die "neue Balkanroute"
Es gibt aktuell noch einen weiteren Grund, warum der Wahlkampf-Auftritt für Anspannung sorgt. Mitten in der bosnischen Hauptstadt gibt es derzeit ein inoffizielles Lager von Flüchtlingen, wo sich rund 250 Menschen in erbärmlichen Verhältnissen niedergelassen haben. Es gibt weder Duschen noch Toiletten, und in den nächsten Wochen werden noch mehr Personen erwartet.
Vor allem Afghanen, Syrer, Pakistaner, Iraner und Iraker sind seit dem Jahresbeginn verstärkt nach Bosnien gekommen, sodass bereits von einer "neuen Balkanroute" gesprochen wird. Nach bosnischen Regierungsangaben geht es dabei um mehr als 3500 Menschen, von denen viele nach der Schließung der alten Route 2016 in Serbien festsaßen. Von Sarajevo aus ziehen sie nach Nordwesten weiter, in Richtung kroatische Grenze.
Seit Wochenbeginn gibt es Verhandlungen zwischen der bosnischen Regierung und Vertretern von UNHCR und der International Organisation of Migration (IOM), um zu einer offiziellen Unterbringung der Migranten zu gelangen. Das einzige bosnische Asylbewerberzentrum bietet nur Platz für 150 Menschen. Derzeit kommen aber etwa die dreifache Anzahl pro Woche von Montenegro und Serbien ins Land, so Peter Van der Auweraert, der die IOM in der Region vertritt. Am Dienstag trat der Ministerrat erneut zusammen. Hilfsorganisationen warten bislang aber vergeblich auf einen Beschluss zur Unterbringung der Geflüchteten.
Lokale Freiwillige gehen davon aus, dass die Regierung das Lager bis zum Erdogan-Besuch auflösen wird. Nicht nur, weil man dem Präsidenten und seiner Anhängerschaft kein Flüchtlingslager in der Innenstadt präsentieren könne, sondern auch, weil zahlreiche der dort untergekommenen aus der syrischen Enklave Afrin kommen. Ihre Flucht hat demnach einen einzigen Grund: den türkischen Angriff im März dieses Jahres. Erdogans Besuch könnte da zum Sicherheitsrisiko werden.