Der Staat hat sich seit dem Ende der Ära Hosni Mubaraks weiter denn je vom sozialen Frieden und ökonomischen Aufschwung entfernt. | Wie lange sich der neue Präsident an der Macht halten wird, hängt auch von seiner außenpolitischen Positionierung ab.
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Gespannt blickt man in Ägypten den heute beginnenden Präsidentschaftswahlen entgegen, wobei das Ergebnis schon fast als sicher gilt: Klarer Favorit ist der bisherige Generalfeldmarschall Abdel Fattah al-Sisi, der im Sommer 2013 eine wesentliche Rolle bei der Entmachtung von Mohammed Mursi, dem ersten Präsidenten nach der Arabischen Revolution, spielte. Mursi hatte der Muslimbruderschaft zum Sieg verholfen und damit eine Protestwelle im ganzen Land ausgelöst, die schließlich seine Absetzung bewirkte.
Demokratischer wurde Ägypten dadurch jedoch leider nicht. Der Staat hat sich seit dem Ende der Ära Hosni Mubaraks weiter denn je vom sozialen Frieden und ökonomischen Aufschwung entfernt.
Wie wird es unter al-Sisi nun weitergehen? Die Menschen hoffen auf Stabilität und Frieden. Doch für die immensen sozialen Probleme wie Überbevölkerung, Armut, die Radikalisierung islamistischer Kräfte, die nationale Wirtschaftskrise und den Einbruch der Tourismusbranche um mehr als 40 Prozent scheinen weder die religiöse Muslimbruderschaft noch al-Sisi und der Westen eine Lösung zu haben.
Die Erkenntnis ist bitter, dass der nordafrikanische Staat ohne Mubarak, der sich noch bis 2011 auf die Freundschaft der US-Präsidenten George W. Bush und Barack Obama verlassen konnte, viel schlechter dasteht als vor dem Arabischen Frühling. Zumindest ist Ägypten bisher das Schicksal seines Nachbarlandes Libyen erspart geblieben, wo seit dem Sturz des Machthabers Muammar al-Gaddafi blutiges Chaos herrscht. Die militärische Abhängigkeit von den USA, die die ägyptische Armee seit 1987 mit rund 1,3 Milliarden US-Dollar unterstützt haben, kommt al-Sisi jedenfalls zugute: Als früherer Oberbefehlshaber der ägyptischen Streitkräfte kann er auf ausgezeichnete bilaterale Beziehungen zurückblicken.
Diese engen außenpolitischen Bande zur Supermacht, die den Frieden mit Israel gewährleisten sollen, machen die Bevölkerung allerdings keineswegs USA-freundlicher oder pro-westlicher. Laut Thomas Carothers, Vizepräsident am Carnegie Endowment for International Peace, sind viele Ägypter davon überzeugt, dass die USA und ihr Präsident Obama die Stärkung der Muslimbruderschaft gebilligt haben, um Ägypten als Regionalmacht zu schwächen.
Mubarak und Mursi, die anfangs vom Westen geduldet wurden, um dann fallen gelassen zu werden, beweisen eindeutig, dass es den USA in ihren Beziehungen zu Ägypten nicht um ein demokratischeres System oder gar um Menschenrechte geht, sondern vorrangig um die Absicherung eines Militärbündnisses, welches schon seit Jahrzehnten besteht.
Wie lange sich al-Sisi in Ägypten an der Macht halten wird, hängt folglich nicht ausschließlich von der Bevölkerung ab, sondern auch von einer Vielzahl außenpolitischer Faktoren, so etwa von der Frage, wie sich der neue ägyptische Präsident in Zukunft zu Israel, zum Iran und zu Saudi-Arabien positionieren wird.