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Ägyptens Armee wechselt Premier

Von Gerhard Lechner

Politik

Demonstranten-Forderung erfüllt. | Neuer Mann auch aus alter Garde. | Zweifel am Erfolg der Tahrir-Bewegung. | Kairo. Das ägyptische Establishment versucht offenbar, der Protestbewegung Wind aus den Segeln zu nehmen: Am Donnerstag ist der Leiter der Übergangsregierung, Ministerpräsident Ahmed Schafik, zurückgetreten. Das gab die ägyptische Armee auf ihrer Facebook-Seite bekannt. Mit der Bildung einer neuen Regierung wurde der ehemalige Verkehrsminister Essam Scharaf beauftragt.


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Mit dem Rücktritt Schafiks erfüllte der Militärrat, der Ägypten seit dem Sturz von Langzeit-Präsident Hosni Mubarak am 11. Februar regiert, eine der wesentlichsten Forderungen der Demokratiebewegung. Diese hatte die noch von Mubarak eingesetzte Übergangsregierung immer als untragbar eingestuft und ihren Rücktritt verlangt. Ein enger Vertrauter Schafiks erklärte, mit dem Rücktritt solle weiteren für Freitag geplanten Massenprotesten auf dem Tahrir-Platz gegen Mubaraks alte Garde vorgebeugt werden. "Es gab Angst vor den Protesten am Freitag und ihrem Ausmaß", sagte der Berater. "Schafik wollte noch in dieser Woche gehen und das Volk nicht aufhetzen."

Ob der neue Mann Scharaf, der von 2004 bis 2006 ägyptischer Transportminister war, über ausreichendes Vertrauen bei den Demonstranten verfügt, darf allerdings bezweifelt werden. "Im Grunde handelt es sich bei den meisten dieser Politiker aus dem alten Regime um farblose Technokraten", sagt Cengiz Günay, Ägypten-Experte am Österreichischen Institut für Internationale Politik. Mubarak, so Günay, habe relativ "unpolitische" Experten bevorzugt, auch weil diese, ohne Ambitionen oder politische Ideen, ihm nicht gefährlich werden konnten.

NDP-Klientelsystem

Die meist jungen Demonstranten wollen sich jedenfalls weiterhin am Freitag auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos treffen, um ihren politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dabei tun sich freilich mehr und mehr Widersprüche auf: Der Forderung nach einem raschen demokratischen Wandel steht die Einsicht entgegen, dass allzu rasche Wahltermine vor allem der regierenden nationaldemokratischen Partei (NDP) des Regimes und den Muslimbrüdern, die als einzige nennenswerte Oppositionskraft über gute Parteistrukturen verfügen, zugute kommen. "Man darf auch nicht vergessen, dass nicht alle Ägypter gegen Mubarak protestiert haben. Auf dem Land beispielsweise verfügt die NDP, die übrigens ziemlich unpolitisch und als reine Machtpartei auftrat, immer noch über ein gut eingespieltes Klientelsystem", so Experte Günay. Aus diesem Grund klagte der liberale Oppositionspolitiker Schadi Ghazali kürzlich über den "zu frühen Wahltermin". Und der Ex-Chef der Internationalen Atomorganisation IAEO, Mohamed El Baradei, schlug die Bildung einer einjährigen Übergangsregierung vor. Die Armeeführung drückt indessen aufs Tempo und will das Volk bereits am 19. März über einen neuen Verfassungsentwurf abstimmen lassen. Im Juni soll es dann Parlamentswahlen geben, im August der Präsident gewählt werden.

Rascher Dämpfer?

Bleibt es bei dem Tempo, ist abzusehen, dass die hoch geschraubten Hoffnungen der Demokratiebewegung auf einen Wahlsieg wohl einen Dämpfer bekommen werden. Sogar der nun abgetretene Premier Schafik, ein ehemaliger Luftwaffengeneral der Armee, spekulierte jedenfalls bis vor kurzem noch mit seinem Antreten bei den Präsidentenwahlen. Wenn der ehemalige Minister für Zivilluftfahrt die Unterstützung seiner Militärs bekommt, ist vieles denkbar.

Am Rande

Vier Pfoten hilft Kamelen in Ägypten

Das Ausbleiben von Touristen aufgrund der politischen Umwälzungen in Ägypten wirkt sich auch auf die lebenden Attraktionen des Landes aus: Viele Kamele, Pferde und Esel sind vom Verhungern bedroht. Laut Angaben der Tierschutzorganisation Vier Pfoten liegen in Kairo Tierkadaver auf den Straßen, jene Tiere, die bisher überlebt hätten, würden mit Hunger und schmerzhaften Wunden kämpfen. Mehr als 800 Pferde und über 1000 Kamele seien betroffen. In Ägypten arbeiten hunderttausende Menschen im Tourismus, Tausende von ihnen besitzen Tiere als Attraktionen für die ausländischen Besucher der Pyramiden. Aufgrund des Umbruchs sind nun viele nicht imstande, ihre Tiere zu versorgen. Vier Pfoten startete vergangene Woche eine Hilfsaktion und versorgt - gemeinsam mit jungen Ägyptern - die Tiere mit Futter und Medizin.

LinkWebsite Vier Pfoten