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Auf Demos und in Gerichtsklagen fordern sie immer öfter ihre Rechte ein.
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Kairo. "Willst du mit mir ficken? Dein Busen macht mich heiß! Nackt siehst du bestimmt geil aus!" Wann immer ägyptische Männer eine Frau sehen, fühlen sie sich bemüßigt, sie anzupöbeln, zu grabschen, zu hupen oder zumindest eine laute Bemerkung hinterherzurufen. In kaum einem anderen arabischen Land werden weibliche Wesen derart belästigt wie am Land am Nil.
Doch seitdem der Arabische Frühling Einzug hielt und Hosni Mubarak gestürzt wurde, haben die Nachkommen der Pharaonen auch die letzten Hemmungen verloren. Besonders am Tahrir-Platz, dem Platz der Befreiung im Zentrum der Hauptstadt, ist nun die totale Anarchie ausgebrochen. Immer mehr Überfälle auf Frauen werden gemeldet. Sie werden bespuckt, auf den Boden gezerrt, die Kleider werden ihnen vom Leib gerissen - und sie werden vergewaltigt. Die Sicherheitskräfte schreiten nicht ein, sie machen teilweise sogar mit. Das Foto der bis auf ihren blauen BH ausgezogenen Frau in den Händen zweier Polizisten ging um die Welt. Demonstrantinnen wurden verhaftet und mussten sich im Polizeigewahrsam Jungfräulichkeitstests unterziehen. Blankes Entsetzen war die Folge. Die Ägypterinnen verfielen in eine Schockstarre. Ihre Veranstaltungen fanden fortan in gebührendem Abstand zum Tahrir-Platz statt. Über Monate hinweg ließ sich kaum ein weibliches Wesen mehr an dem Ort blicken, wo zu Beginn der Revolution Männer und Frauen gleichermaßen im Protest vereint waren.
Doch jetzt begehren die Frauen in Ägypten auf. Seit Wochen demonstrieren sie wieder auf dem Tahrir-Platz, ziehen vor den Obersten Gerichtshof oder den Präsidentenpalast, um ihrem Ärger über sexuelle Belästigungen Luft zu machen.
Nehad Abul-Komsan ist glücklich, als sie am Mittwochabend nach der Frauen-Demo nach Hause kommt. "Es waren viele", sagt sie euphorisch, "und von überall her." Aus allen Schichten Ägyptens seien Frauen dabei gewesen, auch von den regierenden Muslimbrüdern habe sie welche gesehen. Nur die ultra-konservativen Salafisten hätten sich nicht blicken lassen.
Deren vormaliger Präsidentschaftskandidat, Abu Islam, hatte die Frauen in einem YouTube-Video beschuldigt, an den sexuellen Belästigungen selbst schuld zu sein. Sie seien "Kämpfer des Teufels". Das brachte auch viele religiöse Frauen, die sonst eher den Demonstrationen fernbleiben, gegen ihn auf. "Sie konsumieren Frauen, sie behandeln sie nicht wie Staatsbürger. Sie haben keinen Respekt", klagt Abul-Komsan.
Beine breit und zurück an den Herd
Ihr Zentrum für Frauenrecht hat schon im Jahre 2008 eine Umfrage veröffentlicht, wonach 83 Prozent aller Ägypterinnen mindestens einmal im Leben sexuell belästigt worden seien. Bei den Ausländerinnen im Land waren es sogar 98 Prozent. Über zwei Drittel aller Frauen behaupten, täglich sexuelle Gewalt zu erleben. Dabei mache es keinen Unterschied, ob die Frauen verschleiert sind oder nicht, ob sie sich islamisch oder westlich kleiden. "Wenn du eine Frau bist, wirst du in diesem Land belästigt", sagt die Frauenrechtlerin und Mutter dreier Kinder bitter. Das habe nach der Revolution noch zugenommen, obwohl Frauen und Männer Seite an Seite für den Sturz des Regimes auf die Straße gingen. Der Wind der Veränderungen, auch was die Geschlechterrollen anbelangt, währte nicht lange. Bald nach dem Sturz Mubaraks mussten sich die Frauen anhören, dass ihr Platz im Haus und nicht auf der Straße sei.
Die ersten freien Parlamentswahlen Anfang letzten Jahres im neuen Ägypten brachten dann entsprechende Resultate: Von insgesamt 508 Abgeordneten wurden nur neun Frauen gewählt. Zwei weitere sind später vom damals regierenden Militärrat ernannt worden. Allerdings wurde die Volksversammlung nach kurzer Zeit vom Verfassungsgericht für illegal deklariert und von den Militärs aufgelöst. Inzwischen sind die Islamisten an der Macht und Frauenrechtlerinnen beklagen, dass sie noch mehr in die Defensive gedrängt werden. Bei den 100 Mitgliedern der verfassunggebenden Versammlung waren gerade einmal sieben Frauen dabei. Als die Verfassung schließlich verabschiedet wird, sind von 85 Stimmberechtigten ganze fünf weiblichen Geschlechts. Aber die Frauen wollen weiterkämpfen.