Zwei Tage nach schwerem Anschlag im Norden nun Bomben in Hauptstadt Kairo.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Kairo. Es war ein improvisierter selbstgebastelter Sprengsatz, der gestern, Donnerstag, in einem Bus des öffentlichen Nahverkehrs in Kairo explodierte und fünf Insassen teilweise schwer verletzte. Ein zweiter konnte von den Sicherheitskräften gerade noch entschärft werden. Die Strategie ist aus dem Irak hinlänglich bekannt: Einer ersten Explosion folgt oft eine zweite - um die zu töten, die den Menschen zu Hilfe eilen. Meist hat der zweite Sprengsatz eine noch tödlichere Wirkung. Die Methode hat System und wird von professionellen Terroristen angewandt. Aber auch der Ort des Anschlags trägt eine eindeutige Botschaft: Einen Tag, nachdem die Übergangsregierung die Muslimbruderschaft als Terrororganisation eingestuft hatte, explodierte der Sprengsatz im Viertel Nasr City, unweit der Rabaa-Al-Adawija-Moschee, die wochenlang Schauplatz von Pro-Mursi-Protesten war.
Seitdem am 3. Juli der islamistische Präsident Mohammed Mursi gestürzt wurde, kamen in Ägypten fast 1000 Menschen ums Leben. Die Muslimbrüder, aus deren Reihen Mursi entstammt, sehen sich einer regelrechten Hetzjagd ausgesetzt. Fast 3000 von ihnen wurden bis heute inhaftiert, der Führungsriege wird der Prozess gemacht. Die Organisation wurde bereits im September verboten, ihr Vermögen beschlagnahmt, Demonstrationen ihrer Anhänger wurden untersagt.
Politische Beobachter prophezeiten eine Radikalisierung der Islamisten als Reaktion. Und so kam es. Am Dienstag explodierten zwei gewaltige Autobomben vor einem Polizeigebäude in der Nildelta-Stadt Mansura. Die extrem starke Detonation brachte einen Teil des Polizeigebäudes zum Einsturz. Selbst in 20 Kilometer Entfernung war die Druckwelle noch zu spüren. Mit 16 Toten und über 140 Verletzten war das Attentat das schwerste seit dem Massaker in Luxor im November 1997, als die Terrororganisation Gama’a Islamija 62 Touristen brutal ermordete.
Muslimbrüder beschuldigt
Die Schuldigen von Mansura waren schnell ausgemacht. Die meisten Medien sehen die Muslimbrüder als Drahtzieher hinter den Anschlägen, ganz im Einklang mit der Übergangsregierung. Der stellvertretende Premier, Hossam Eissa, macht die Bruderschaft nicht nur für das Attentat am Heiligabend, sondern auch für diverse andere gewalttätige Übergriffe in den letzten Monaten verantwortlich, auch gegen Kirchen und Christen. Die Muslimbrüder seien eine terroristische Vereinigung. Die Bruderschaft selbst weist jede Beteiligung an den Attacken zurück und verurteilte die Anschläge in Mansura und Kairo. Sie hätten stets mit friedlichen Mitteln gegen "den Putsch" demonstriert, wie sie die Absetzung Mursis durch das Militär noch immer nennen - ungeachtet der Massendemonstrationen, die den Rücktritt Mursis gefordert hatten. Eine vermeintliche Verflechtung zwischen den Muslimbrüdern und den Islamisten der Ansar Beit al-Makdis, die sich zu dem Anschlag im Nildelta bekannt hat, ist nicht bewiesen. In dem Bekennerschreiben der Gruppe war von einer "Vergeltung für den Krieg der gottlosen Herrschaftsordnung gegen die islamische Scharia" zu lesen. Radikale Islamisten kritisieren die Überarbeitung der ägyptischen Verfassung, in der die Scharia nicht mehr als Primärquelle der Gesetzesordnung, sondern nur noch als eine der Quellen der Judikative gelten soll. Mitte Jänner wird darüber in einem Referendum abgestimmt.