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Ägyptische Hexenjagd

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Mit aller Härte geht der Staat gegen die Muslimbrüder vor. 529 von ihnen wurden nun zum Tode verurteilt.


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Kairo. Es ist die größte Kollektivstrafe in der Geschichte der ägyptischen Justiz: 529 Menschen wurden am Montag in einem einzigen Verfahren im oberägyptischen Minia zum Tode verurteilt. Sie alle sind Anhänger des ehemaligen islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi, der nach freien Wahlen ein Jahr lang an der Macht war, bevor Massenproteste das Militär veranlassten, ihn zu stürzen. Seitdem wurde die gesamte Führungsriege der Muslimbruderschaft, der Mursi angehörte, inhaftiert, die Bewegung verboten und als Terrororganisation eingestuft. Ihm selbst wurde bereits drei Mal der Prozess gemacht. Ein viertes Verfahren steht noch aus. Eine regelrechte Hetzjagd auf alles, was nur im Entferntesten mit ihm und der Bruderschaft zu tun hat, ist seither im Gange. Das Urteil von Minia ist die bislang dramatischste Zuspitzung nach nur zwei Verhandlungstagen.

Keine Verteidigung gehört

Minia, 250 Kilometer südlich der Hauptstadt gelegen und mehrheitlich von koptischen Christen bewohnt, war letzten Sommer zum Schlachtfeld geworden. In Kairo hatten zuvor Sicherheitskräfte die Protestlager der Mursi-Anhänger blutig aufgelöst und über 600 Tote hinterlassen. In Oberägypten gingen die Proteste weiter - in Minia, Sohag und Assiut. Denn auch die Muslimbrüder haben Wurzeln dort. So stammt etwa Saad al-Katatni, Vorsitzender des aufgelösten Übergangsparlaments und führendes Mitglied der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, aus der 220.000 Einwohner-Stadt Minia, in der auch noch Wochen danach ausgebrannte Kirchen, zerstörte Polizeistationen und herausgerissene Pflastersteine von den schweren Unruhen zeugten.

Den zum Tode verurteilten 529 Anhängern der Islamisten wird nun vorgeworfen, einen Polizeioffizier bei der Erstürmung einer Polizeiwache getötet und zwei weitere Polizisten angegriffen zu haben mit der Absicht, auch sie zu töten. Außerdem sollen Waffen entwendet, Eigentum zerstört und die öffentliche Ordnung gestört worden sein. Lediglich 147 der 529 Verurteilten waren im Gerichtssaal anwesend. Der Rest ist auf der Flucht und in Abwesenheit verurteilt worden. 16 Angeklagte wurden freigesprochen. Das Gericht verkündete sein Urteil, ohne die Verteidigung angehört zu haben. Nun soll der islamische Großmufti in Kairo über die Vollstreckung der Urteile entscheiden. Die zweite Verfassung seit Beginn der Revolution, die die Islamisten maßgeblich ausgearbeitet hatten, sah eine Überprüfung schwerwiegender Gerichtsurteile durch die höchste muslimische Instanz Ägyptens vor. Inzwischen ist der Passus aus der jetzt gültigen, dritten Verfassung gestrichen. Doch anscheinend sollen die Islamisten mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden.

Die Härte des Staates müssen derzeit allerdings nicht nur Anhänger der Muslimbrüder bitter erfahren. Auch Mitglieder der "revolutionären Jugendgruppen", die maßgeblich am Ausbruch der Revolution im Jänner 2011 beteiligt waren und später gegen Mursi demonstrierten, stehen derzeit vor Gericht. So wurde der bekannte Blogger Alaa Abdel-Fattah am Sonntagabend zwar auf Kaution aus dem Gefängnis entlassen, muss sich aber am 6. April zur nächsten Gerichtsverhandlung einfinden. Ihm und anderen wird vorgeworfen, illegale Proteste gegen Regierung und Militär organisiert zu haben. Außerdem habe er "die Sicherheitskräfte verunglimpft und das Kofferradio eines Polizisten gestohlen". Abdel-Fattah ist Mitbegründer der Initiative gegen Militärgerichte und wurde bereits unter dem ersten regierenden Militärrat nach dem Sturz Mubaraks inhaftiert. Als er im November 2011 wieder freikam, ging das Foto um die Welt, das ihn mit seinem während der Haft geborenen Sohn zeigte.

Schon 86 Tage sitzen auch drei Journalisten des englischsprachigen Programms von Al-Jazeera im Gefängnis. Am Montag ging der dritte Verhandlungstag zu Ende, ohne dass die sich die inhaftierten Reporter Hoffnung auf ihre Freilassung machen können. Ihnen wird Verbreitung "falscher Informationen" und Nähe zur Muslimbruderschaft vorgeworfen.

Auch nach dem Schreiben von Übergangspräsident Adli Mansour an die Eltern des australischen Mitarbeiters von Al-Jazeera, Peter Greste, er werde alles dafür tun, dass der Journalist bald wieder mit seiner Familie vereint werde, musste der frühere BBC-Korrespondent wieder zurück in seine Zelle im Tora-Gefängnis im Kairoer Stadtteil Maadi. Dort war auch schon der gestürzte Langzeitmachthaber Hosni Mubarak zeitweise untergebracht und jetzt die gesamte Führungsspitze der Muslimbruderschaft. Nur Mohammed Mursi ist nach Alexandria verlegt worden.