"Al-Ammu" ist Schlepperboss, Drogen- und Ölschmuggler, jetzt hilft er Italien, Flüchtlinge von Europa fernzuhalten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Rom. Sie nennen ihn al-Ammu, den Onkel. Als er vor Jahren noch auf der Suche nach Gelegenheitsjobs auf dem Markt von Sabratha herumlungerte, fragte Ahmed Dabashi stets: "Onkel, hast Du mal eine Zigarette?" Der Spruch wurde zu seinem Spitznamen. Sonst hat Dabashi kaum noch etwas mit dem kleinen Jungen von damals gemein. Der Libyer ist einer der berüchtigten Schlepperbosse, die an der Küste Libyens operieren. Inzwischen schicken Dabashi und seine Söldner die Flüchtlinge aber nicht mehr aufs Meer, sondern halten sie von der Überfahrt ab. Europa atmet auf.
Noch am 1. Juni veröffentlichten Experten des UN-Sicherheitsrates einen Bericht über die Lage in Libyen, in der auch von Dabashi die Rede ist. Auf Seite 63, Ziffer 258, wird er namentlich als einer der aktivsten Menschenhändler an der libyschen Küste aufgeführt. Zu dieser Zeit behaupteten die Regierungen der EU noch vehement, den Schleppern müsste dringend das Handwerk gelegt werden.
Geld für Schwerkriminellen aus Europa
Ob diese Devise heute noch uneingeschränkt gilt, ist unklar. Denn in den vergangenen drei Monaten haben Dabashi (und mit ihm vielleicht auch andere Milizenführer) eine erstaunliche Läuterung durchgemacht. Vom international gesuchten Schlepperkönig wurde der 35-Jährige zu einem der wichtigsten Verbündeten Italiens und damit auch Europas. Nach übereinstimmenden Berichten und Zeugenaussagen ist Dabashi heute derjenige, der mit seinen Söldnern die zentrale Mittelmeerroute und damit die Überfahrten von Flüchtlingen nach Italien de facto blockiert: Die Zahlen sind eindeutig. Den gesamten August über kamen nur noch 3892 Menschen von Libyen über das Mittelmeer nach Italien, im August 2016 waren es noch 21.294 Migranten. Auch die Daten von September (wenige hundert Migranten) weichen stark von den im Spätsommer wegen milder Wetterbedingungen üblichen Überfahrten ab.
Der Hauptgrund für den Rückgang ist nicht etwa die erfolgreiche Arbeit der libyschen Küstenwache, sondern Dabashis Seitenwechsel in Folge eines für ihn lukrativen Deals. Statt Flüchtlinge über das Meer zu schicken und dafür zu kassieren, halten Dabashi und seine Leute nun die Hand dafür auf, dass sie die Migranten vor der Überfahrt abhalten.
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass das Geld für den Erzbanditen Dabashi letztendlich aus Europa fließt.
Schauplatz des Umschwungs sind die Strände um Sabratha, einer für ihre römischen Ruinen berühmten Küstenstadt, 70 Kilometer westlich von Tripolis. Bislang legten die meisten Flüchtlingsboote von hier ab. Jetzt herrscht Flaute. Zunächst hatte die Nachrichtenagentur Reuters Ende August über die Aktivitäten Dabashis berichtet, jetzt bestätigte der "Corriere della Sera" die Informationen in einem detaillierten Bericht. Danach verhandle der "berühmteste Bandit der Region" mit den Regierungen in Tripolis und in Rom. In Tripolis hat die international anerkannte, aber schwache Einheitsregierung von Fajes al-Sarradsch ihren Sitz. Sie hat in mehr als der Hälfte Libyens keinen Einfluss und ist auf die Finanzierung durch die EU und das Wohlwollen der Milizenführer angewiesen. In diesem Spannungsfeld entstand der Deal, von dem Ahmed Dabashi, al-Sarradsch und Italien gleichermaßen profitieren. Dessen Logik lautet: Geld für die Blockade der Flüchtlinge, Unterstützung der Einheitsregierung, Ruhe auf dem Mittelmeer und etwas Luft im angehenden italienischen Wahlkampf. Nach einer aktuellen Erhebung fühlen sich 46 Prozent der Italiener durch die Immigration verunsichert.
Die italienische Regierung dementiert das Bestehen eines Abkommens mit den ehemaligen Schleppern. Internationale Beobachter und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen bestätigen aber die Tatsache, dass Dabashi mit seinen Brigaden in Sabratha und Umgebung dafür sorgt, dass keine Flüchtlingsboote mehr ablegen, und dafür fürstlich entlohnt wird. Fünf bis zehn Millionen Euro sei Rom diese Leistung bislang wert gewesen, zitiert der "Corriere della Sera" eine anonyme Polizei- und Geheimdienstquelle in Libyen.
Milizen haben die EUin der Hand
Sollten die inzwischen auch von internationalen Experten bestätigten Informationen zutreffen, dann hat sich Italien mit einem Schwerkriminellen eingelassen. Dabashi erlangte Macht in den Wirren nach dem Ende des Gaddafi-Regimes 2011. Zeitweise agierte er zusammen mit libyschen Dschihadisten, sein inzwischen getöteter Cousin war beim IS aktiv.
Dabashi und seine Männer betätigten sich zunächst im Schmuggel mit Drogen und Erdöl und sind seit einigen Jahren auch für sogenannte Sicherheitsdienste gefragt. Seit 2015 bewacht die von ihm angeführte und nach einem Cousin benannte "Brigade Anas Dabbashi" oder "Ammu-Brigade" die westlich von Sabratha gelegene Öl- und Gasraffinerie Mellitah, die von der libyschen Ölgesellschaft zusammen mit dem italienischen Energiekonzern Eni betrieben wird. Seither steht Dabashi in Kontakt mit dem italienischen Geheimdienst. Heute kommandiert er bis zu 500 Männer. Eine zweite Miliz mit dem Namen "Brigade 48" wird von seinem Bruder befehligt.
Die nun in Libyen gestrandeten Migranten werden nach Berichten von Hilfsorganisationen in menschenunwürdige Sammellager gepfercht, das ist die unmittelbare Folge der Abmachungen. Mittelbar hat Milizenführer Dabashi die Regierung in Rom, aber auch die EU und ihre Akteure in der Hand. Wenn er es sich anders überlegt, nehmen die Überfahrten nach Europa wieder zu.