Die prekäre Beschäftigungssituation von Junglehrern beginnt sich im AHS-Bereich allmählich zu entspannen. Während für Pflichtschullehrer in Wien in den nächsten Jahren auch weiterhin kaum Anstellungsmöglichkeiten gegeben sein werden, besteht in Wiener Gymnasien bereits jetzt in einigen Fächern ein Lehrkräftemangel. Die "Wiener Zeitung" befragte aus diesem Anlass den Präsidenten des Wiener Stadtschulrates Kurt Scholz zur weiteren Entwicklung auf diesem Gebiet.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Beschäftigungssituation im AHS-Bereich hat sich im Jahresvergleich wesentlich verbessert. Die Arbeitslosigkeit unter Wiener AHS-Lehrern ist mit insgesamt 98 beim Arbeitsmarktservice (AMS) Wien vorgemerkten Personen derzeit überraschend gering.
Laut einer Statistik des AMS ist die Arbeitslosenrate unter den Wiener Gymnasiallehrern Anfang Oktober gegenüber dem Vorjahr um 13, 3 Prozent zurückgegangen.
Eine Warteliste und eine beachtliche Differenz
Demgegenüber stehen im Bereich des Stadtschulrates für Wien derzeit 315 AHS-Lehrer auf der Warteliste. Im Hinblick auf die beachtliche Differenz zwischen den AMS-Zahlen und der Anzahl der auf der Warteliste vorgemerkten Personen erklärte der Wiener Stadtschulratspräsident Kurt Scholz, es handle sich bei den vom AMS bekanntgegebenen 98 arbeitssuchenden Junglehrern vorwiegend um "akute Fälle", die derzeit in keinerlei Beschäftigungsverhältnis stehen.
Hinsichtlich der restlichen 217 auf der Warteliste aufscheinenden Lehramtsanwärter gebe es mehrere Erklärungsansätze. Beispielsweise befänden sich Personen auf der Liste, die bereits seit geraumer Zeit in anderen Branchen berufstätig seien und derzeit "keine unterrichtliche Tätigkeit" anstrebten, durch ihre Vormerkung allerdings die weitere Anwartschaft auf eine Anstellung in einer Wiener Schule wahren möchten.
Zudem, so Scholz, hätten auch viele der Vorgemerkten Spezialwünsche, die derzeit aus organisatorischen Gründen nicht erfüllbar wären. Während etwa die einen nur in bestimmten Stadtteilen Unterricht zu erteilen gewillt seien, könnten sich andere wiederum die Ausübung des Berufes nur in einer ganz konkreten Stundenanzahl vorstellen.
Darüber hinaus befänden sich auch noch viele auf der Warteliste, die bereits in einem anderen Bundesland als Lehrer eine Anstellung erlangt hätten beziehungsweise gäbe es auch Stellenbewerber aus anderen Bundesländern, die sich nicht nur in ihrem Heimatbundesland, sondern auch in Wien vormerken ließen.
Bezüglich der vom AMS veröffentlichten 98 Stellenbewerber sei dem Stadtschulrat überdies vom Arbeitsmarktservice rückgemeldet worden, dass sogar diese Zahl noch zu hoch gegriffen sei, weil manch einer von jenen zwar eine Ausbildung zum AHS-Lehrer absolviert hätte, tatsächlich aber keine Anstellung als Pädagoge anstrebe.
In einigen Fächern schon jetzt Mangel an Lehrern
In einigen Unterrichtsfächern besteht bereits jetzt ein Lehrkräftemangel. Vor allem bei kurzfristigem Arbeitskräftebedarf in den Fächern Musikerziehung, Leibesübungen Knaben und Englisch muss der Stadtschulrat derzeit laufend auf Studenten zurückgreifen, weil keine voll qualifizierten Lehrkräfte aufzubringen sind.
Besonders schwierig, so Scholz, werde es in den kommenden Jahren sein, Fachkräfte für Chemie und Physik in der erforderlichen Anzahl anzuwerben, weil durch das verstärkte Wirtschaftswachstum viel lukrativere Einkommensmöglichkeiten in anderen Branchen bestünden.
Zudem sei die Beschäftigung in Schulen für Naturwissenschafter wesentlich unattraktiver geworden, weil vor fünf Jahren im Zuge eines Sparerlasses die Anrechnung von Ausbildungs- und Vordienstzeiten wesentlich eingeschränkt wurde. Und nicht zuletzt sei den von der Wirtschaft umworbenen Fachleuten die Bereitschaft zum Schuldienst auch abhanden gekommen, weil die Pragmatisierung nicht mehr so rasch erreicht werden könne wie ehedem.
AHS-Bereich: Schülerzahl steigt nach wie vor
Im Gegensatz zum Pflichtschulbereich, wo in den nächsten Jahren wegen der rückläufigen Schülerzahlen kaum Neueinstellungen vorgenommen werden können, sei im AHS-Bereich die Schülerzahl nach wie vor steigend, erklärte Scholz.
In etwa vier bis sechs Jahren werde sich in den Wiener Gymnasien eine beachtliche Pensionierungswelle bemerkbar machen. Obwohl dann die Schülerzahl stagnieren werde, bestünden deshalb in absehbarer Zeit selbst in den derzeit "überlaufenen" Unterrichtsfächern wie Deutsch und Geschichte überaus gute Beschäftigungsmöglichkeiten.
Bis dahin, so der Stadtschulratspräsident, würden die in manchen Fachbereichen zurzeit noch heiß begehrten Stellen auch weiterhin nach möglichst objektiven Kriterien vergeben. Er selbst habe die ausdrückliche Weisung erteilt, bei der Stellenvergabe Bewerber mit Zusatzqualifikationen zu bevorzugen. Freilich bekämen unter den Höchstqualifizierten jene den Vorzug, die zudem aus sozialen Gründen berücksichtigungswürdig seien, beispielsweise AlleinerzieherInnen.
Blüml: Ausbildung der Junglehrer verbessert
Die Ausbildungssituation von AHS-Junglehrern im Rahmen des Unterrichtspraktikums ist in den letzten Jahren bedeutend verbessert worden. In diesem Bereich ist vor allem die Qualifikation der Betreuungslehrer durch entsprechende Schulungs- und Evaluierungsmaßnahmen entscheidend gesteigert worden, betonte der für diese Belange zuständige Abteilungsleiter des Wiener Stadtschulrates Karl Blüml.
Auch die Kriterien für die Beurteilung der Praktikanten, welche ja letztlich bei der Einstellung mit berücksichtigt werden, seien in den letzten Jahren durch ein ausgeklügeltes Fragebogensystem grundlegend optimiert worden. Die tristen Berufsaussichten für Lehrer, so Blüml, hätten in den letzten Jahren bedauerlicherweise dazu geführt, dass den Wiener Schulen ein enormes Potential verloren ging, weil aufgrund der langen Warteliste notgedrungen gerade "die besten Unterrichtspraktikanten auch die besten Jobs in anderen Bereich gefunden haben."
Praktikum bringt Anspruch auf Arbeitslosengeld
Immerhin stellt das Unterrichtspraktikum für Lehramtskandidaten - besonders in schwierigen Jahren - eine Minimalabsicherung dar, weil durch dessen Absolvierung zumindest ein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht.
Wenngleich das Arbeitslosengeld für Unterrichtspraktikanten, die zuvor noch keiner anderen Beschäftigung nachgegangen sind, lediglich 5.950 S beträgt, so ist dies doch eine Überbrückungshilfe; ebenso ist damit wenigstens ein Krankenversicherungsschutz gewährleistet.
Die Notstandshilfe, welche Junglehrer vom AMS im Anschluss an das Arbeitslosengeld erhalten, beläuft sich lediglich auf 5.650 S.
Weil das Lehramtsstudium eine sehr spezifische Berufsausbildung darstellt, kommen so manche Absolventen nur schwer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter. Ausgebildete Philosophie- oder Geschichtslehrer beispielsweise müssen mit 200 bis 300 Bewerbungen schon ein überaus langes Durchhaltevermögen beweisen, sofern sie - zum Teil nach Jahren - eine nur einigermaßen adäquate Position in einem anderen Berufsfeld erreichen wollen.
Umso wichtiger ist für solche Personen jene soziale Absicherung, die durch das Unterrichtspraktikum begründet wird. Im Bereich des Unterrichtsministeriums, so Scholz, sei vor gar nicht langer Zeit sogar die ersatzlose Streichung des Unterrichtspraktikums diskutiert worden; durch seinen persönlichen Einsatz habe diese Einrichtung letztendlich aber gerettet werden können.
Über die bevorstehende Entspannung der Anstellungssituation sind vor allem die beiden Personalreferenten des Wiener Stadtschulrates, Bernhard Schuh und Ilse Schitzhofer, nicht wenig erleichtert.
Es sei nämlich in den letzten Jahren immer wieder vorgekommen, dass durch den akuten Stellenmangel selbst in krassen Fällen von Armut keine Hilfe möglich war. Alleinstehende Mütter und werdende Väter seien in ihrer Not - in Einzelfällen - sogar wöchentlich beim Stadtschulrat vorstellig geworden. Alles in allem sei die Situation für die Beamten durch die beständig vor Augen getretenen Härtefälle gemütsmäßig sehr bedrückend gewesen.
Durch die zuletzt angekündigten Maßnahmen der Regierung, wonach die Abgeltung der Klassenvorstandstätigkeit und der Kustodiate ab Herbst 2001 neu geregelt werden soll, könne die erfreuliche Entwicklung zwar kurzfristig gebremst werden, so Scholz, aber insgesamt würde der Trend in der hier beschriebenen Weise anhalten.
"Das studieren, wofür Begabung vorhanden ist"
Auf die Frage der "Wiener Zeitung", ob der Chef des Wiener Stadtschulrates gegenwärtig Maturanten zu- oder abraten würde, sich für das Lehramt zu entscheiden, sagte Scholz wörtlich: "Junge Menschen sollen vorzugsweise das studieren, wofür sie begabt sind."
Und dass man im Schulbereich auch mit einer weniger aussichtsreichen universitären Ausbildung Erfolg haben kann, ist schließlich mit der Biographie des Stadtschulratspräsidenten bewiesen, der sein Studium mit einer historischen Dissertation abgeschlossen hat.