Südafrika weist eine der höchsten HIV-Raten der Welt auf. | Grund dafür ist eine Mischung aus politischen Versäumnissen und sozialen Eigenheiten. | Strategien und Ansätze zur Lösung sind gesucht. | Kapstadt. "Das gemeinsame Netball-Spiel ist eine gute Möglichkeit, junge Menschen, vor allem Kinder über Sexualität und HIV Aids aufzuklären", erklärt die 22-jährige Nicole Gubanxa. "Ich trainiere hier jeden Tag mit den Mädchen." | Dossier Südafrika
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Nicole, ihre ältere Schwester Pinkie und ihre Mutter Prim Rose sind für viele eine Institution in diesem von Schwarzen dominierten Township Khayelitsha geworden: Ombudsfrauen und Community-Leaders in einem. Net- und Fußball-Club-Gründerinnen zudem - Kämpferinnen für die gute Sache.
Weder Prim Rose noch die beiden Töchter sind HIV-positiv: Sie wollen etwas gegen die schrecklichen Zustände unternehmen. "Netball, Fußball und Tanz ist unsere Art, auf die Lethargie, auf benzinschnüffelnde Kids, Gewalt und Verbrechen zu reagieren", sagt Prim Rose. Und auf den schleichenden Aids-Tod. Unzählige Kinder wurden in den letzten 15 Jahren zu Aids-Waisen. Die Aidsrate in Khayelitsha liegt weit über 50 Prozent. Dazu kommt: "Die Jungen sind unaufgeklärt und haben viel zu früh Sex."
Die Männer sterben weg
Prim Rose arbeitet sieben Tage die Woche als Taxifahrerin. Am Steuer ihres Benz aus den 80ern sitzend, deutet sie aus dem Fenster auf vorbeiziehende Squatters. "Es sind die Frauen, die das Familienleben in den Siedlungen aufrechterhalten." Viele Männer seien an Aids verstorben. "Auch mein Mann," sagt Prim: "Er hatte wie viele mehrere Geliebte!"
Häufig suchen Frauen aus der Nachbarschaft die gute Seele in ihrem engen, einfachen Haus auf. Klagen von Ehemännern, die an Aids starben. Von HIV-positiven Männern, die im Suff zu Vergewaltigern werden - auch der eigenen Ehefrauen. Oder von solchen, die in den Bierhallen, den Shebeens, teils Minderjährige mit Alkohol gefügig machen und schwängern. Während die Jungs Drogen verkaufen und nach Bandenkämpfen schon als 13-Jährige ins Gefängnis gehen.
Irgendwann vor vier Jahren hatte die 45-jährige Prim die Nase voll von den immergleichen Geschichten. Sie gründete einen Fußballclub für und mit Jugendlichen und Kindern. Es dauerte nicht lange und sie hatte Fußballer für vier Mannschaften zusammen. Jetzt wird auf dem Bolzplatz trainiert. Jeden Abend. "Wir reden viel über die Mischung aus Alkohol und Drogen, Sex und Aids. Über Schule und die Bedeutung von Bildung." Die drei holen seit dem Tod des eigenen Vaters Kinder von der Straße weg, von Drogen, Waffen und den Shebeens.
Doch die Realität Südafrikas ist nach wie vor grausam. Mit 5,7 Millionen HIV-Infizierten und rund 1000 Aids-Toten pro Tag erlebt das Land einen Albtraum mit weit geöffneten Augen. "Obwohl sich vieles zum Besseren verändert hat", erklärt der in Johannesburg lebende katholische Priester Ricus Dullaert, sei die medizinische Versorgung nach wie vor schlecht. Statt lebensverlängernder Aidsmedikamente, den anitretroviralen AVR-Mitteln, erhalten viele Kranke lediglich einen Eintrag auf einer langen Warteliste.
In Ricus mit den englischen Poor Sisters of Nazareth aufgebauten Johannesburger Hospiz ist das Regal mit den ARVs immer voll. Das meiste Geld dafür kommt von der US-Regierung. Die Nonnen und ihr äußerst aktiver Priester aus Holland haben es vorwiegend mit Migranten zu tun.
"Das Aidsproblem Südafrikas", sagt Ricus, "ist ein fünfköpfiger Drache!" Es sei eine fatale Mischung mehrerer Faktoren die zur rasanten Ausbreitung von Aids geführt hätten. Der erste Präsident des freien Südafrika, Nelson Mandela, dessen Sohn in den 90er Jahren an Aids verstarb, schwieg lange. Mandelas Nachfolger Thabo Mbeki führte dieses "Erbe" nur fort. Skandale in der Pharma-Industrie, gepaart mit Korruption in Politik und Forschung, taten das Ihre. Tausende starben unnötig früh.
Lebenserwartung: 45 Jahre
Südafrikas durchschnittliches Lebenserwartungsalter liegt bei knapp 45 Jahren. "Frau muss also, wenn sie möchte, früh ein Kind bekommen", sagt Pater Ricus. Ungeschützter Sex sei bei den Jungen weit verbreitet. "Wir haben zudem ein inneres und äußeres Migrationsproblem." Alleine viele Lkw-Fahrer hätten in jedem Dorf eine Braut. Südafrika sei zudem ein Einwanderungsland. Der Johannesburger Stadtteil Hillbrow ist überfüllt mit Flüchtlingen aus Simbabwe und anderen Ländern des südlichen Afrika. "Die Situation ist sozial und medizinisch gesehen bedenklich", erklärt Ricus.
Dazu kommt: Die umstrittene Haltung des Vatikan zu Aids; die teils fast okkult agierenden Freikirchen; die vielen alchimistischen Traditional Healers, die Wunderheiler, die den Leuten Heilung vorgaukeln; die teils unhygienischen Zustände in den Siedlungen. Und nicht zuletzt: Arbeitslosigkeit und Armut, die Abhängigkeiten schaffen. "Bei den Frauen führt das direkt in die Prostitution", sagt auch Prim Rose. Das beste Geschäft mache sie in der Nacht: "Wenn ich die Männer zu den Ladies fahre. Die meisten sind Sugar Daddys": Verheiratete Männer, die junge Frauen aushalten - für Sex. Prim Rose Tochter Nicole sagt: "Die Männer, auch die jungen, bescheißen alle und sie haben mehrere Frauen."
"Ein Kondom gibt vielen Männern das Gefühl von Eingesperrt-Sein", vermutet Pater Ricus. "Nach den Jahren der Apartheid und des Weggesperrtseins in den Homelands sogar ein erklärbares Phänomen", sagt er. Mit letalen Folgen. "Haben sie einmal Aids, verschweigen sie es oder sie machen einfach keinen Test." Diesen teuflischen Mix versucht Südafrika unter Kontrolle zu bekommen.
Und die NGOs? Die weltweite Finanzkrise macht die Situation nicht einfacher: Internationale Hilfsorganisationen kürzen ihre Budgets für HIV-Aidsprojekte. Und auch so manches inländische Unternehmen stutzt seine Ausgaben für firmeneigene Aids-Programme. Genau solche hat Aaron Motsoaledi versprochen, Südafrikas neuer Gesundheitsminister der Regierung Jacob Zuma.
Südafrika scheint zudem auf eine Veränderung von ganz unten zu hoffen. Die Betroffenen selbst sollen sie herbeiführen. Das sind die Schwarzen. Denn Aids ist in diesem Land das Problem der Schwarzen und der Coloureds. Daran besteht mittlerweile kein Zweifel mehr. Es wird also an Leuten wie Prim Rose und ihren Töchtern liegen. Nur sie werden einen Veränderungsprozess einleiten können.
Aids-Konferenz in Wien
Von 18.bis 23. Juli 2010 tagt in Wien unter dem Motto "Menschenrechte hier und jetzt" die weltweit bedeutendste Konferenz zum Thema HIV/AIDS. Welt-Aids-Konferenzen finden alle zwei Jahre statt. Sie sind eine Mischung zwischen Wissenschaftertreffen, Begegnung von Selbsthilfegruppen und - zunehmend - auch Politikern, die sich gegen Aids und HIV engagieren.
Erwartet werden in Wien rund 25.000 Teilnehmer, einschließlich rund 2500 Medienvertreter, aus mehr als 100 Ländern. Die Auswahl Wiens als Gastgeberstadt für Aids 2010 soll die zentrale Rolle Wiens als Brücke zwischen Ost- und Westeuropa widerspiegeln. Gerade in Osteuropa und in Zentralasien werden derzeit die größten Zuwachsraten an HIV-Positiven registriert. Dort gibt es bereits rund 1,5 Millionen Betroffene. Das Thema der Konferenz "Rechte hier und jetzt" hebt die zentrale Bedeutung des Schutzes von Menschenrechten hervor, die eine Grundvoraussetzung für den Umgang mit HIV bilden.