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Aktien des Wendekanzlers steigen

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

EU-Topjobs: Ablehnung für Blair und Juncker. | Ratspräsident soll schwarz, EU-Außenminister rot sein. | Wenig Unterstützung für "Harry Potter" Balkenende. | Brüssel. Personalentscheidungen können beim heutigen EU-Gipfel wegen des unklaren Zeitplans des Lissabonner Vertrags in Tschechien noch keine getroffen werden. Hinter den Kulissen war das Ringen um die beiden neuen Top-Jobs, die der Lissabon-Vertrag bringen wird, voll im Gange.


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Dabei zeichnete sich scheinbar bereits am Donnerstag eine erste informelle Einigung über die Aufteilung der Posten zwischen den beiden größten Parteifamilien ab: Die Europäischen Volkspartei (EVP) dürfte künftig den Ratspräsidenten stellen, die Sozialdemokraten den ersten EU-Außenminister. Darüber hinaus sei das Rennen "völlig offen", erklärte der österreichische Vizekanzler Josef Pröll. Bemerkenswert dabei: Die bisher nur minimalen Chancen des österreichischen Wendekanzlers Wolfgang Schüssel wachsen von Tag zu Tag.

Kandidaten-Verschleiß

Denn die beiden bisherigen Hauptrivalen sind offensichtlich bereits verbrannt. Gegen den britischen Ex-Premier Tony Blair verstärkte sich der Widerstand spürbar. Neben Belgien und Luxemburg lehnten vor allem Vertreter seiner eigenen Parteienfamilie den Erfinder von New Labour ab, wie Bundeskanzler Werner Faymann bei einem Treffen der Europäischen Sozialdemokraten (S&D) bestätigte. Darüber hinaus hat er die falsche Parteizugehörigkeit.

Die Briten schwören im Gegenzug, den Luxemburger Jean-Claude Juncker zu verhindern. Der Streit ums EU-Rahmenbudget unter dem Luxemburger EU-Vorsitz 2005 hat zwischen dem Vereinigten Königreich und dem kleinen Großfürstentum verbrannte Erde hinterlassen. Dass sich Juncker Anfang der Woche aus der Deckung wagte, um Blair aufzuhalten, wird weithin als politische Kamikazeaktion im Rennen um den neuen Chefsessel betrachtet. Auch die Franzosen sollen den Vorsitzenden der Eurogruppe nicht so gerne mögen, weil er ständig über ihre Budgetdisziplin nörgelt.

Große Zustimmung war auch für den konservativen niederländischen Premier Jan Peter Balkenende nicht zu spüren, den der belgische EU-Kommissar Karel de Gucht wegen seiner runden Brille und seinem jungenhaften Aussehens als "Harry Potter" abgekanzelt hatte. Darüber hinaus bleibt in den Reihen der EVP vorläufig fast nur noch Schüssel als plausibler Kandidat. Faymann will von dieser Option zwar "nie gehört" haben. Pröll und Außenminister Michael Spindelegger äußerten sich dagegen wohlwollend. Spindelegger hatte Schüssel auch schon mehrfach als möglichen Kandidaten genannt.

Kurios erscheint indes eine "Wunschliste" der Sozialdemokraten, die am Donnerstag durchgesickert ist. Demnach sollen sich die Sozialdemokraten den deutschen Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, den derzeitigen spanischen Ressortchef Angel Moratinos oder den früheren österreichischen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer wünschen. Alle drei Länder haben freilich bereits ihre Kommissarskandidaten nominiert, die ihre Jobs dann umgehend wieder los wären. Weil der Außenminister auch Vizepräsident der EU-Kommission ist, kann sein Land ansonsten nämlich keinen Kommissar stellen. Realistisch auf der roten Wunschliste für den EU-Außenminister scheint lediglich der britische Ressortchef David Miliband zu sein, den London statt Blair als Ratspräsident bekommen könnte.

Für diesen Job als neuer Name fiel inzwischen der frühere finnische Präsident und Nobelpreisträger Martti Ahtisaari. Dem fehlte es zwar nicht an Ansehen in der Welt; er gehört jedoch zu den Sozialdemokraten und kommt aus der falschen Gegend Europas. Denn mit dem Dänen Anders Fogh Rasmussen als Nato-Generalsekretär sind die Skandinavier bei den Brüsseler Spitzenposten bereits gewichtig vertreten.

Vor einer schwierigen Mission steht daher ein sozialdemokratisches Verhandlungsteam, das sich mit Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel einer Lösung annähern soll. Mit dabei ist Österrreichs Kanzler Werner Faymann.

Wissen: Der EU-Ratspräsident

Der Präsident des Europäischen Rates soll laut dem Vertrag von Lissabon den heutigen Vorsitzenden des Europäischen Rates ersetzen. Dieses bisher eher repräsentative Amt wechselt derzeit halbjährlich unter den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten (momentan ist es Schwedens Premier Fredrik Reinfeldt).

Künftig soll der Europäische Rat seinen Präsidenten für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren wählen. Zur Wahl soll eine Zweidrittelmehrheit nötig sein, mit der er auch wieder seines Amtes enthoben werden könnte (eine Bestätigung durch das Europäische Parlament soll nicht nötig sein). Der Präsident soll einmal wiedergewählt werden können.

Als Aufgabengebiet des Präsidenten ist die Vorbereitung der Arbeit des Europäischen Rates vorgesehen. Im EU-Vertrag von Maastricht (Artikel 15) ist festgehalten, dass er sich gemeinsam mit dem ebenfalls neu zu schaffenden EU-Außenminister um die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union kümmern soll.

Während seiner Amtszeit darf der Präsident des Europäischen Rates kein nationales Amt ausüben. Sein Gehalt soll so hoch sein wie das des Kommissionspräsidenten (270.000 Euro). Als Amtssitz ist der Résidence Palace in Brüssel vorgesehen.

Fraglich ist die Auswirkung des neuen Amtes auf die Stellung des Kommissionspräsidenten. Manche befürchten, dass der Gemeinschaftscharakter der Union dadurch gefährdet werden könnte, dass die EU-Spitze nicht an der Spitze der Kommission steht und vom EU-Parlament legitimiert wird.