Auch EU-Gesetz vorstellbar. | Tausende Tote als Argument. | Brüssel. Die EU-Kommission will ihren Kampf gegen die gesundheitlichen Schäden durch Passivrauchen deutlich verschärfen. Es sei an der Zeit, die Debatte auf europäische Ebene zu heben, erklärte Gesundheitskommissar Markos Kyprianou am Dienstag. Laut einer ihm vorliegenden Studie sterben pro Jahr 79.000 Menschen in Europa durch das Passivrauchen. "Ermutigt" fühle er sich in seinem Ansinnen von den zunehmenden Rauchverboten in öffentlichen Gebäuden und Gaststätten in den Mitgliedsstaaten und eine Eurobarometer-Umfrage nach der eine Mehrheit von gut 80 Prozent der EU-Bevölkerung eine rauchfreie Umwelt befürworte. Selbst in Ländern wie Deutschland, die "bisher als Paradies für Raucher und Tabakkonzerne" gegolten hätten, gebe es Diskussionen über Verbote.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In ihrem Strategiepapier plädiert die Kommission im "umfassendsten Fall" für ein "absolutes Rauchverbot in allen geschlossenen oder weitgehend geschlossenen Arbeitplätzen und öffentlichen Räumen." Die Beschränkungen könnten auch "auf die im Freien befindlichen Gebiete um die Eingänge der Gebäude und andere Gebiete im Freien, wo Menschen in unmittelbarer Umgebung beieinander sitzen oder stehen" ausgedehnt werden. Als Beispiele nennen Kyprianous Beamten etwa offene Stadien und Bus- oder Bahnstationen. Dieser Schritt hätte die "größten Vorteile für die Gesundheit der Bevölkerung", sagte der Kommissar. Bis zu zehn Prozent könnte die Verbreitung des Rauchens damit verringert werden, belegten Studien. Acht Prozent seien die Tabakumsätze in Italien nach Einführung des Verbots zurückgegangen, um 14 Prozent in Norwegen.
Neben der Ausweitung von freiwilligen Selbstverpflichtungen, der unverbindlichen Koordinierung erfolgreicher Maßnahmen durch die EU-Staaten und Empfehlungen der EU-Gesundheitsminister kann sich Kyprianou auch ein neues EU-Gesetz vorstellen. Da die Union aber eigentlich keine Kompetenzen im Gesundheitsbereich hat, versucht Brüssel den Hebel über die Mindeststandards im Arbeitnehmerschutz. "Die Angestellten im Gastgewerbe sind besonders durch Passivrauchen gefährdet", heißt es. Ihr Lungenkrebsrisiko sei "50 Prozent größer."
Austro-Tabakkonsum im EU-Spitzenfeld
Denn bisher gelten in den EU-Staaten äußerst unterschiedliche Regelungen. In Österreich ist Tabakkonsum in öffentlichen Gebäuden seit Anfang 2005 verboten. Im Gastgewerbe besteht eine freiwillige Selbstverpflichtung. Demnach sollen Lokale, die größer als 75 Quadratmeter sind, mindestens 40 Prozent ihrer Fläche für Nichtraucher freihalten. Ab 1. Februar will die neue Regierung diese freiwilligen Nichtraucherzonen evaluieren. Denn obwohl der Zigarettenkonsum im EU-25-Schnitt auf 27 Prozent gesunken ist, hat er in Österreich von 36 auf 37 Prozent zugelegt. Noch mehr rauchen nur die Griechen mit 40 Prozent.
Die Tabakindustrie sieht die Problemlage naturgemäß etwas anders. Die von Kyprianou kolportierten Zahlen seien nicht nachvollziehbar, sagte die Austria Tabak/Gallaher Europe-Sprecherin Bettina Pepek zur "Wiener Zeitung". "Wir glauben nicht, dass die wissenschaftliche Beweislage für eine gesundheitsschädliche Wirkung des Passivrauchens ausreichend ist." Es gebe auch Studien, die das "so nicht untermauern." Der Vorstoß der EU-Kommission habe darüber hinaus "überhaupt keine rechtlichen Konsequenzen." Die in Österreich und Deutschland bestehende freiwillige Selbstverpflichtung sei gegenüber Verboten ein "vernünftiger anderer Weg." Erfahrungen mit Rauchverboten in Irland und Italien hätten gezeigt, dass der Umsatz der Tabakindustrie zwar vorübergehend sinke. Danach beginne sich der Absatz aber wieder zu erholen, wenn auch "nicht ganz auf das ursprüngliche Niveau."