Sprachverarbeitung kann durch Übungen verbessert werden. | Wien. Von einer Legasthenie (spezielle Lese-Rechtschreib-Schwäche) spricht man, wenn sich bei Kindern mit normalem bis überdurchschnittlichem Intelligenzquotienten beim Schriftspracherwerb (beim Lernen des Lesens und Schreibens) Probleme ergeben, welche durch differenzierte Sinneswahrnehmungen hervorgerufen werden. Dies führt zu Wahrnehmungsfehlern beim Lesen und Schreiben.
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Die spezielle Lese-Rechtschreib-Schwäche ist anlagebedingt. Neueren Forschungen haben biogenetische Ursachen für Legasthenie bisher in sechs Chromosomenregionen (1, 2, 3, 6, 15 und 18) identifiziert. Das bedeutet, dass man Legasthenie nicht verhindern, sehr wohl aber schulische Probleme durch frühkindliche Förderung kleiner halten kann.
Die Erfahrung in der Praxis zeigt, dass ein überdurchschnittlich großer Prozentsatz legasthener Kinder Defizite im akustischen Bereich aufweist. Buchstaben, Laute und Wörter, die nicht richtig vom Gehirn aufgenommen werden, können bei betroffenen Schülern nicht in angemessener Weise mündlich oder schriftlich wiedergegeben werden.
Eine aktuelle Studie der Kinderklinik Boston unter der Leitung von Professor Nadine Gaab erbrachte diesbezüglich interessante Ergebnisse: Wissenschafter erfassten die Gehirnaktivität von neun- bis zwölfjährigen Kindern, während diese zwei unterschiedlich rasch wechselnde Tonfolgen hörten. Es handelte sich um Tonmuster, die in ähnlicher Weise auch in gesprochener Sprache enthalten sind. Bei nicht legasthenen Kindern reagierte das Gehirn in elf Regionen deutlich auf schnelle Tonfolgen. Dieses Aktivierungsmuster war hingegen bei legasthenen Versuchskindern nicht zu beobachten.
"Um Sprache zu verstehen und später Buchstaben oder Silben richtig zu schreiben, müssen Kinder schnelle Tonwechsel richtig erkennen können", meint Gaab. Zur Verbesserung dieser Fertigkeiten trainierten die Wissenschafter in der Kinderklinik Boston legasthene Kinder acht Wochen lang täglich mit Hilfe eines Computerprogramms. Dabei hörten sie zunächst langsame, später schnellere und komplexere Tonfolgen, die auch Silben, Wörter und Sätze umfassten. Nach dem Training wurde die Gehirnaktivität der Kinder erneut gemessen. Tatsächlich reagierten die Gehirne der Kinder mit Legasthenie nach dem Training auf die schnellen Tonfolgen ähnlich wie die nicht legasthener Kinder. Zudem verbesserte sich die Lesefähigkeit.
Diese Erkenntnis könnte es in naher Zukunft ermöglichen, Legasthenie bereits im Vorschulalter zu diagnostizieren. Frühzeitige Förderung Betroffener mit akustischen Übungen würden die Vernetzungen im Gehirn verändern und dadurch die Sprachverarbeitung bei Kindern mit Legasthenie verbessern. Dies wäre ein Meilenstein in der Entwicklung pädagogischer Förderungsprogramme für Legastheniker.
DI Roswitha Wurm ist Dipl. Legasthenie- und Dyskalkulietrainerin. Buchtipp: Roswitha Wurm, Leserechtschreibschwäche - Tipps zur Früherkennung, Neue Ideen zur Förderung öbv&hpt , ISBN-13: 978-3209054685
www.legasthenie.at