Washington - Seit einem halben Jahrhundert wird in den USA Präsident, wer am Labour Day, am 4. September, in den Umfragen führt. Mit 49 zu 39 Prozent lag diesmal der demokratische Kandidat Al Gore deutlicher vor seinem republikanischen Herausforderer George W. Bush als die Gewinner bei den letzten drei Präsidentschaftswahlen.
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1988 führte Bush senior mit 53 zu 46 Prozent vor dem Demokraten Michael Dukakis. 1992 lag Bill Clinton mit 43 zu 37 Prozent vor Präsident George Bush und 1996 führte Clinton mit 49 zu 41 Prozent vor seinem republikanischen Herausforderer Robert Dole.
Gore, der noch im Juli in den Umfragen 15 Prozent hinter Bush lag und seit dem demokratischen Parteitag Mitte August rasant zulegte, kann von den guten Wirtschaftsdaten profitieren und hat mit der Wahl seines Vizepräsidenten Joseph Liebermann offensichtlich einen besseren Griff gemacht als Bush mit Richard Cheney. Verstärkt spricht er in seinem Wahlkampf "linke" Themen an, die während der Clinton-Administration vernachlässigt worden sind. So kündigte er verstärkte staatliche Interventionen, mehr Sozialprogramme und mehr Unterstützung für die Gewerkschaften, öffentliche Schulen und Pensionisten an.
Die Rückkehr zum Wohlfahrtsstaat ist angesichts der tatsächlichen Lage der arbeitenden Menschen in den USA auch ein Gebot der Stunde. "Das Wachstum der 90-Jahre hat die Yachten gehoben und die Boote im Trockenen gelassen", predigt der dritte Präsidentschaftskandidat Ralph Nader, dem in Umfragen nur mehr 2 Prozent gegeben werden, bei seinen Wahlkampfauftritten. Obwohl Amerika unter Clinton insgesamt viel wohlhabender geworden ist, verdienen 40 Prozent der Bürger heute weniger als vor zehn Jahren.
George Bush junior scheint angesichts seines Rückstandes in den Wählerumfragen langsam die Nerven zu verlieren. "Ehre und Würde wolle er wieder in das Weiße Haus bringen nach den Jahren der Vulgarität unter Bill Clinton", hatte er bisher im Wahlkampf gepredigt. Und er hatte auch versprochen, nicht mit persönlichen Attacken gegen Gore aufzutreten. Doch die guten Vorsätze beginnen langsam zu bröckeln. Die schlimmste Entgleisung leistete sich Bush jüngst, als er seinem Vize Cheney bei einem Wahlkampfauftritt in Illinois zuflüsterte: "Da ist Adam Clymer, das Arschloch der Serie A von den ,New York Times´ und dabei übersah, dass die Mikrophone schon eingeschaltet waren. Cheney stimmte ihm zu.
Bushs Mitarbeiter versuchten den Ausrutscher damit zu entschuldigen, dass ihr Kandidat durch die kritischen Artikel Clymers irritiert gewesen sei. Cheneys Entschuldigung war noch brustschwacher: "Es habe sich um einen persönlichen und nicht um einen öffentlichen Kommentar gehandelt."
Der von Bush stets mit Hohn überschüttete Präsident Clinton reagierte mit Ironie: Zu Journalisten sagte er Dienstag vor dem Weißen Haus demonstrativ: "Wir mögen euch alle". Zuvor hatte sein Mitarbeiter scherzhaft probeweise auf das Mikrofon getappt, ob es auch funktioniere.