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Al Jaber, bitte melden!

Von Engelbert Washietl

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Hier folgt eine traurige Geschichte, die mit Franz Kneissls Meilensteinen beginnt und leider bei Barack Obamas Not kurz vor dem Konkurs der Weltwirtschaft endet.


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Die Story der ruhmreichen Skifirma Kneissl ist gespickt mit Besuchen von Exekutoren, die Geld eintreiben möchten. Soeben ist es wieder einmal so weit. Die Firmenchronik des einstigen Familienunternehmens verzeichnet zwar ruhmreiche "Meilensteine" in der Entwicklung des Edelprodukts Ski, und Karl Schranz holte sich auf Kneissl-Brettern (Holzkern, rundherum Plastik) Goldmedaillen und Niederlagen - aber schon 1980 trat auch der Konkursrichter in Aktion. Beim Patriarchen des Unternehmens, Franz Kneissl, setzte im Jahr 1994 das Herz aus.

Die Frage, wem das Unternehmen gehört und in welchem Weltteil es als "Kerngeschäft" Skier oder aber ganz anderes produzierte, ließ sich schon damals nicht mehr eindeutig beantworten. Der alte Kneissl hatte vergeblich gegen Banken gekämpft, ähnlich wie Mitbewerber Alois Rohrmoser, und sich an der Heimatfront aus Gründen verlassen gefühlt, die man heute eher mit dem Begriff "Globalisierung" umschreiben könnte.

Das Unternehmen setzte soeben die letzte Hoffnung auf den saudiarabischen Investor Mohamed Al Jaber. Das hat schon die Austrian Airlines probiert. Der Scheich ist Mehrheitseigentümer von Kneissl, hatte vorübergehend das Image eines großzügigen, weltläufigen Gönners erworben, das aber in Österreich stark ramponiert ist. Das von ihm zugesagte "Frischgeld" hat die Eigenschaft, nicht anzukommen. Die Enttäuschung ist groß, denn wenigstens Geld sollte Milliardär Al Jaber überweisen können. Dass er etwas vom Schnee verstehen müsste, hat niemand verlangt.

Fast gleichzeitig mit dem Zusammenbruch des Kneissl-Imperiums taucht die Meldung auf, dass die ganze Ski-Industrie an ihren Bretteln kaum noch etwas verdient und deshalb zu Ersatzprodukten Zuflucht nimmt. Die Herstellung der Wintersportbekleidung bringt auch etwas, und der Ski-Marktführer Atomic soll bereits an die 40 Prozent des Umsatzes mit gut wattierter Oberbekleidung machen. Somit verbirgt sich also hinter der individuellen Kneissl-Tragödie auch das Problem einer Branche, der obendrein wegen der Erderwärmung langfristig wohl der Schnee ausgehen wird.

Jetzt stricken wir so wie die Ski-Industrie den Pullover der Erkenntnis munter fort und fragen, ob nicht auch dem österreichischen Bundesheer sowohl Geld als auch Kerngeschäft abhanden gekommen sind. Dank der Zivildiener, die gar nicht zum Bundesheer wollen, funktioniert der Rettungs- und Pflegedienst, weshalb das Bundesheer unentbehrlich, aber nicht bezahlbar ist, weil zusätzlich zu den Zivildienern eine ganze Armee gefüttert werden muss. Im kleineren Maßstab passiert das auch der Tourismusindustrie in der für Österreich entscheidenden Wintersaison, weil die Ski-Industrie das Geld für die Schneekanonen nie und nimmer aufbringen könnte, obwohl der Schnee eigentlich deren Geschäftsgrundlage wäre.

Womit der Schritt von Kneissl zur möglicherweise soeben entdeckten Weltformel nicht schwer fällt: Lebt überhaupt noch jemand von seinem Kerngeschäft? Oder hoffen auch Nicolas Sarkozy und Angela Merkel, die eine EU-Wirtschaftsregierung formen wollen, sowie auch Barack Obama, der die amerikanische Industrie verzweifelt zu verstärkten Investitionen aufruft, bloß auf frisches Geld, das, egal woher, aber pünktlich vor dem Konkurs eintreffen müsste? Al Jaber, bitte melden!

* Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".