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Al-Kaida-Mama oder nur CIA-Opfer?

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Einst meistgesuchte Frau der Welt soll verrückt sein. | Geheimnisumwobene Vergangenheit der 38-Jährigen. | Neu Delhi. Die Frau in der Burka soll zweimal geschossen haben. "Raus hier, ihr Schweine. Allah u akbar (Gott ist groß)", soll die Pakistanerin Aafia Siddiqui laut geschrien haben, als sie im Juli 2008 in einer Polizeistation im afghanischen Ghazni von Mitarbeitern der US-Bundespolizei FBI verhört werden sollte. Das Pikante daran: Die Neurowissenschafterin und Mutter von drei kleiner Kindern war zu diesem Zeitpunkt über fünf Jahre spurlos verschwunden gewesen. In ihrem Gepäck sollen Aufzeichnungen über Anschlagsplanungen in den USA und eine Sammlung von Flaschen mit Chemikalien gewesen sein.


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Sie war die meistgesuchte Frau auf der Fahndungsliste des FBI und die erste, nach der wegen Verbindungen zu Al-Kaida gefahndet wurde. Doch nur wenig über Siddiquis steht sicher fest. Tausende Kilometer von Ghazni entfernt, in einem Gerichtssaal in New York, wird entschieden, was wahr ist an der Lebensgeschichte der jetzt 37-jährigen Wissenschafterin. Der Prozess wegen versuchten Mordes läuft seit Dienstag. Die Angeklagte will ihn boykottieren. Es ist umstritten, wie gut ihr Gesundheitszustand ist. Die Verteidigung glaubt, die Frau sei schlicht verrückt geworden. Die Anklage hält sie für geistig voll zurechnungsfähig. Der Prozess ist einer der spektakulärsten Episoden im Krieg der USA gegen den Terror.

Aafias Leben ist nicht der Stoff, aus dem Spionage-Romane gemacht sind. Die 1972 in Karachi geborene Pakistanerin zog 1990 in die USA. Sie studierte, machte einem Abschluss an der amerikanischen Elite universität MIT und 2001 ihren Doktor an der Brandeis University.

Ominöse Einkaufsliste

Ihre Eltern verheirateten sie mit einem pakistanischen Arzt, der ebenfalls in den USA lebt. Das Paar hat drei Kinder. Im Mai 2002 verhörte das FBI sie und ihren Mann wegen eines ungewöhnlichen Kaufes - eines Nachtsichtgeräts, kugelsicherer Westen und eines Militär-Handbuchs -, alles für 10.000 US-Dollar. Es gibt verdächtige Geldtransfers auf dem Konto der Eheleute. Siddiquis Mann machte seine Frau dafür verantwortlich. Die Familie seiner Frau hingegen gab dem Mann die Schuld. Der ließ sich umgehend scheiden. Nur sechs Monate später heiratete Aafia Siddiqui erneut: Ammar al-Baluchi, einen Neffen von Khalid Sheikh Mohammed, dem Planer des Anschlags auf das World-Trade-Center vom 11. September 2001. Im März 2003 gab das FBI eine weltweite Warnung vor Siddiqui heraus. Sechs Wochen später nahm die Wissenschafterin mit ihren drei kleinen Kindern in ihrer Heimatstadt Karachi ein Taxi zum Flughafen und verschwand spurlos auf dem Weg dorthin.

Im Mai 2004 stand sie auf der Liste der sieben Top-Al-Kaida-Terroristen. Sie sei "bewaffnet und gefährlich", hieß es in ihrem Steckbrief. Gerüchte kursierten, sie sei verschleppt worden.

Im Juli 2008 berichtete eine britische Journalistin von einer seltsamen Gefangenen auf der US-Militärbasis Bagram in Afghanistan. Häftling 650 solle nach Folter und Isolierhaft den Verstand verloren haben und so sehr schreien, dass andere Gefangene in Hungerstreik getreten seien. Die Gefangene werde die "graue Dame von Bagram" genannt. Es wurde spekuliert, ob die Frau nicht Aafia Siddiqui sein könnte. Wenige Tage später wurde Siddiqui in Afghanistan von US-Beamten festgenommen und in die USA gebracht. Der Psychiater, der Siddiqui untersuchte, gibt zu Protokoll, dass ihre Erinnerungen an die letzten fünf Jahre ihres Lebens zwar unvollständig seien, doch insgesamt die Fakten dafür sprächen, dass Siddiqui zwischen 2003 und 2008 nicht in Gefangenschaft gewesen sei.

In Pakistan ist der Fall der Dr. Aafia schon lange ein Politikum. Zeitungen berichten immer wieder über sie, es gibt Solidaritäts-Demonstrationen und Parlaments-Resolutionen. Für die einen ist sie die "Al-Kaida-Mutter", für die anderen eine unschuldig Verschleppte. Eine Antwort wird hoffentlich der Prozess gegen sie geben.