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War es tatsächlich nur der Film "Innocence of Muslims" (Unschuld der Muslime), der die Gewaltwelle in der islamischen Welt auslöste? In den USA hat sich inzwischen die Überzeugung verfestigt, dass zumindest der Angriff auf die US-Botschaft in Benghazi, bei dem der Botschafter starb, von Al-Kaida gesteuert wurde. Sicherheitsleute hatten in der Nähe des Gebäudes größere mengen Waffen und Munition gefunden. Der Anschlag müsse von langer Hand vorbereitet worden sein, heißt es. Möglicher Anlass: der Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001. Damit wird ein Strategiewechsel offensichtlich.
Mithilfe des Films, der den Propheten Mohammed verunglimpft, wird eine Solidarisierung mit sonst nicht gewaltbereiten Muslimen erreicht. Eine hochgefährliche Mischung aus gekränktem Stolz, bedrohter Identität und Zorn über die vermeintlich geplatzten Revolutionsträume entladen sich unter dem Deckmantel der Religion. Ein Funke genügt zur Eskalation. Offensichtlich ist Al-Kaida entschlossen, die Situation für ihre Zwecke auszunutzen.
Allerdings ist die Organisation anders aufgestellt als bei 9/11. Lange war Al-Kaida der Inbegriff des völlig enthemmten Dschihad-Terrors. Geisel-Enthauptungen, Massenerschießungen, monströse Anschläge gegen Zivilisten, brutale Morde an Schiiten und Attacken auf Heiligtümer praktisch aller Minderheiten waren ihre Markenzeichen. Diese Praktiken haben sich inzwischen abgeschwächt. Ihren ideologischen Kopf Bin Laden gibt es nicht mehr und auch die neue Nummer zwei, Abu Jahja al Libi, fiel im Juni einem Drohnenangriff der US-Armee in Pakistan zum Opfer.
Bin Ladens Nachfolger Ayman al-Zawahiri gilt als Pragmatiker, der auch Fehler einräumt; er will weniger Bürokratie auf Kommando-Ebene, kleinere Einheiten und mehr Effizienz. Vorbei sind jetzt die Tage, als die Organisation eine hierarchisch zentrierte Struktur trug und es "Emire für Granaten, für Verwaltung, für Straßenbomben, Gas, Logistik und Küche" gab. Inzwischen operieren die Terrorzellen weitgehend autark. So tobten im Jemen Anfang des Jahres wochenlange blutige Machtkämpfe innerhalb der jemenitischen Al-Kaida um die Führerschaft. Es ist also davon auszugehen, dass Zawahiri das Netzwerk künftig noch weiter auf dezentrale und lokale Ebenen ausweiten wird. Der Anschlag auf den US-Botschafter in Libyen und die wochenlangen Kämpfe zwischen islamischen Extremisten und Sicherheitskräften auf dem Sinai in Ägypten sind Vorboten dafür.