Scheich Adel Ibn Salam Al Kalbani hat eine Glöckerlstimme, mit der er die Verse des Koran wie kein Zweiter rezitiert. Diese Gabe hat ihn zum Würdenträger im höchsten muslimischen Heiligtum prädestiniert. Im September 2008 ernannte ihn der saudiarabische König Abdullah zum Imam der Großen Moschee von Mekka.
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Al Kalbani ist 49 Jahre alt, er hat zwei Frauen und zwölf Kinder. Vor allem aber hat er eines: eine schwarze Hautfarbe. Die hat ihm den Spitznamen "schwarze Nachtigall" eingebracht. Als er das ehrenvolle Amt übernahm, sprach auch manch einer vom "saudiarabischen Obama", denn dass ein Schwarzer Imam der Großen Moschee von Mekka wird, wurde als ähnlich ungewöhnlich eingestuft wie ein Schwarzer, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird. Al Kalbani selbst stellt seinen Erfolg über jenen Obamas. Was seien schon - so fragte er - die paar Amerikaner im Vergleich zur gesamten muslimischen Welt?
Doch der Vergleich mit dem US-Präsidenten sollte nicht lange halten. Denn erwartete man sich von Al Kalbani eine ebenso integrative und konziliante Politik wie von Obama, war man auf dem Holzweg. Eigentlich galt die Besetzung des verantwortungsvollen Postens mit dem schwarzen Imam als konsequente Fortsetzung des liberalen Kurses des saudischen Königs. Der hatte sich schon seit längerem für interreligiöses Verständnis und Modernisierungen stark gemacht. Doch schon bald ließ Al Kalbani mit dem genauen Gegenteil aufhorchen. Christen, Juden und Schiiten sind bei ihm nicht willkommen, vernahm man aus seinem Mund. In einem Interview erklärte er, dass religiöse Freiheit ihre Grenzen habe, zumal in Saudi Arabien: "Im Vatikan würden Sie auch nicht den Bau einer Moschee zulassen", argumentierte er ein Kirchenverbot in seinem Land. Er halte es mit der Leitlinie des Propheten Mohammed, die besage: "Vertreibe die Juden und Christen von der Arabischen Halbinsel."
Nicht viel besser kamen bei ihm schiitische Religionsgelehrte weg, die er als "kuffar", Ungläubige beziehungsweise Häretiker, bezeichnete. Der Protest war enorm. Die Schiiten, die ungefähr 10 bis 15 Prozent der Muslime ausmachen, forderten eine Entschuldigung des saudiarabischen Staates und die Verurteilung Al Kalbanis wegen Verhetzung. Doch nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil: Im Oktober fuhr Al Kalbani erneut Attacken gegen die Schiiten und erließ eine Fatwa gegen sie. In diesem islamischen Rechtsgutachten erklärte er die schiitischen Religionslehrer erneut zu Häretikern - sehr zum Missfallen des schiitisch geprägten Iran.
Fast täglich brachten seither die persischen Fernsehsender ihrerseits kontroversielle Berichte über den Imam. Doch Al Kalbani erhielt von seinem Land - gezielt oder nicht - Rückendeckung, denn auf einmal flog ein kritischer persischer Sender aus der Produktpalette der Telekommunikations-Satelliten Arabsat und Nilsat. Auf der arabischen Halbinsel bekam man somit seine Berichte nicht mehr zu hören, während in Mekka nach wie vor Al Kalbanis Glöckerlstimme erklingt.