Ägyptens Präsident regiert das Land autokratisch, Kritik wird nicht geduldet. Dennoch ist der General im Volk beliebt - eine Mehrheit beim Referendum über die geplante Verlängerung seiner Amtszeit ist ihm daher gewiss.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Alexandria. Es ist noch kühl am Strand bei Alexandria im Norden Ägyptens. Die Ostertouristen tummeln sich deshalb knapp 1000 Kilometer südlich am Roten Meer, wo die Wassertemperaturen gerade kräftig steigen. Hier oben am "Weißen Meer", wie die Ägypter das Mittelmeer nennen, gibt es nur vereinzelte Strandläufer, die in dicke Jacken eingehüllt, die Ruhe genießen. Auch die Hafenstadt Raschid (bekannt auch als Rosetta), 90 Kilometer östlich von Alexandria gelegen, wirkt wie ausgestorben. Im Crystal Club kann man die Gäste an einer Hand abzählen. Abdo Ghabour und sein Sohn, der nur seinen Kosenamen Isatyia nennt, sitzen alleine in der riesigen Clubhalle. Tee gibt es, Wasser und Softdrinks erst abends, "wenn mehr Gäste hier sind", erzählt der Kellner.
Das Lokal und die Angestellten haben schon bessere Tage gesehen. So beispielsweise vor vier Jahren, als es hier nur so von Schmugglern und Flüchtlingsschleusern wimmelte, die jede Nacht Menschen über das Mittelmeer nach Italien brachten. Angeblich waren es Syrer und Iraker. Bei genauem Hinsehen aber war die Mehrheit Ägypter, die ihrer miserablen Wirtschaftslage entfliehen wollten. Als ein Boot im September 2016 kenterte und über 40 Flüchtlinge ertranken, wurde die Welt aufmerksam auf das, was an Ägyptens Küste passiert. Bis dahin war man der Meinung, dass die Flucht über das Mittelmeer lediglich von Libyen ausging.
Doch still und heimlich hatte sich längst auch im Land an Nil der Menschenschmuggel etabliert. "Acht Stunden lang schwammen die in Seenot geratenen Menschen im Meer", erzählt Abdo Ghabour von dem tragischen Erlebnis vor zweieinhalb Jahren. 480 zumeist junge Menschen seien an Bord gewesen, "das Boot war gnadenlos überfüllt". Die Schlepper hätten damit gerechnet, dass die italienische Küstenwache die Flüchtlinge aufgreifen würde, aber die kam nicht. Abdo Ghabour redet sich in Rage. Seine oberen Zähne sind bereits ausgefallen, unten weist das Gebiss ebenfalls erhebliche Lücken auf. Er nuschelt, wenn er redet. Um fünf Uhr morgens sei die ägyptische Küstenwache informiert worden, bis neun Uhr Früh sei niemand von denen erschienen. "Wir waren denen egal." Isatyia konnte gerettet werden, er kann schwimmen. Doch das ist eher die Ausnahme als die Regel.
Für den inzwischen 25-jährigen Ägypter war es bereits der zweite Versuch, nach Italien zu gelangen. Die Überfahrt kostete die Familie 20.000 ägyptische Pfund, das sind nach aktuellem Umrechnungskurs rund 1000 Euro. Damals war das Pfund noch doppelt so viel wert.
Abdo Ghabour ist krank, braucht jeden Monat 2000 Pfund für Medikamente. Außerdem galt es, seine beiden Töchter zu verheiraten. Eine Hochzeit in Ägypten kostet 200.000 Pfund, das Zehnfache der Kosten für die Fahrt übers Mittelmeer. Isatyia hatte den Auftrag, in Europa Geld für die Familie zu verdienen. Beim ersten Mal schaffte er es auf einem Schlauchboot bis fünf Seemeilen vor die Insel Lampedusa. Dann musste die italienische Küstenwache einschreiten und die Flüchtlinge an Land holen. So wollen es die internationalen Regelungen. "Sie haben uns gut behandelt", lobt der Ägypter die Italiener, "gaben uns neue Kleider, Zahnbürsten." An Land wurden sie medizinisch untersucht und in ein Auffanglager gesteckt. Ein marokkanischer Übersetzer sollte herausfinden, woher die Flüchtlinge kommen. Isatyia hatte seinen Pass weggeschmissen und sogar die Marke aus seinem T-Shirt, "made in Egypt", entfernt. Er wusste, dass man nur Chancen hat, in Europa zu bleiben, wenn man aus den Kriegsländern Syrien oder dem Irak stammt. 59 Tage saßen er und die anderen Ägypter im Auffanglager, bevor sie nach Ägypten zurückgeschickt wurden. Ramses Abu Naser war mit Isatyia zusammen. Ihm gehörte das Boot, das dann im September 2016 kenterte.
Geldsegen aus der EU
Ein drittes Mal versucht es Isatyia nicht. Jetzt ist er verheiratet und hat selbst einen Sohn. Ein ägyptischer Ingenieur hat ihm eine Stelle bei der Bin-Laden-Gruppe in Saudi-Arabien vermittelt. Mit dem, was er dort verdient, kann er seine kleine Familie zuhause ernähren und für seinen Vater die Medikamente bezahlen. Seine Schwestern aber konnten immer noch nicht heiraten.
Die Wirtschaftskrise in Ägypten hat sich zugespitzt. Mit den Flüchtlingsbooten von Rachid nach Italien ist jedoch Schluss, sagen die Herren im Chrystal Club. Wenn überhaupt noch Boote Richtung Europa ablegen, dann von Masa Matruh nahe der libyschen Grenze. Die Menschen würden dann in libyschen Gewässern auf größere Schiffe umgeladen. Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi, der sich jüngst durch eine Verfassungsänderung weitere Machtbefugnisse sicherte, würde alles tun, damit die Flucht aus Ägypten aufhört, sagen Vater und Sohn gleichermaßen. Dafür habe er Millionen von der Europäischen Union erhalten.
Egal ob in Raschid, Alexandria oder Kairo: Viele Ägypter lieben ihren al-Sisi nach wie vor, auch wenn der ehemalige Generalfeldmarschall seit seinem Putsch gegen den bisher einzigen frei gewählten Staatspräsidenten, Mohammed Mursi, im Sommer 2013 mit eiserner Hand regiert. Mursis islamistischer Kurs war für die Mehrheit der Ägypter dann doch untragbar. "Wir wollen keinen islamischen Staat, in dem Frauen Schleier tragen müssen und die Scharia regiert", hieß es damals landauf, landab. Dem erklärten Ziel von Mursi und den Muslimbrüdern, eine islamische Umma - eine religiöse Großgemeinde - anzustreben, widersprach der Patriotismus der Ägypter vehement. "Das Militär und das Volk sind eins", schrien damals die Massen als Reaktion auf dem Tahrir, dem Platz der Freiheit, im Zentrum der Hauptstadt. Und so ist es zu verstehen, dass die Änderungen der Verfassung von 2014, die dem Volk nun zur Abstimmung vorliegen und eine sechsjährige Amtszeit des Präsidenten vorsehen, wohl mit großer Mehrheit angenommen werden.
Damit bekommt al-Sisi nochmals die Chance, für weitere zwölf Jahre anzutreten. Seine Kritiker sind außer Landes oder im Gefängnis, die Medien gleichgeschaltet, Meinungsfreiheit existiert nicht mehr. Die Muslimbrüder sind als Terroristen ausgewiesen und zu Staatsfeinden deklariert. Einige von ihnen haben sich den Terrorzellen eines IS-Ablegers auf dem Sinai angeschlossen, andere sind nach Libyen geflohen und kämpfen dort gegen den von Kairo unterstützten General Khalifa Haftar - viele wurden aber auch in Ägypten hingerichtet.
Mit Millionen Euro aus der Europäischen Union - Deutschland allein gibt 250 Millionen nach Kairo - und einer Milliarde Dollar US-Militärhilfe, die keinerlei Rechtfertigung bedarf, rappelt sich Ägyptens Wirtschaft langsam wieder. Seit den Aufständen des sogenannten Arabischen Frühlings und dem Sturz von Langzeitpräsident Husni Mubarak im Februar 2011 verzeichnete das Nilland eine wirtschaftliche Abwärtsspirale in noch nicht gekanntem Ausmaß.
Der Tourismus brach um bis zu 60 Prozent ein, die Arbeitslosigkeit lag bei knapp 20 Prozent, die Inflation erreichte zeitweise die 25-Prozent-Marke, Direktinvestitionen tendierten gen null und die Devisenreserven verzeichneten einen derartigen Schwund, dass der Handel mit Dollar oder Euro zeitweise ausgesetzt werden musste und ausländische Unternehmen keine Devisen außer Landes führen durften.
Die Wirtschaft erholt sich
Der Internationale Währungsfonds (IWF) verpasste dem Land schließlich einen harten Sparkurs, der vielen Ägyptern wehtat und vor allem die untere Mittelschicht, die sich unter Ex-Präsident Hosni Mubarak herauskristallisierte, vom Abstieg bedrohte.
Nach fünf Jahren im Amt kann al-Sisi nun erste Erfolge vorweisen. Das Bruttoinlandsprodukt wird dieses Jahr um 5,8 Prozent steigen, die Inflationsrate liegt bei 14 Prozent und die Arbeitslosigkeit ist auf 11 Prozent gesunken. Dass dies mit einem erweiterten öffentlichen Sektor zusammenhängt und dem enormen Zuwachs des Überwachungsapparats, wird geflissentlich verschwiegen. An jeder Ecke stehen mindestens zwei Mitarbeiter des Geheimdienstes. Sisis Auge ist überall.