Nach dem Debakel in Nordrhein-Westfalen gibt die SPD Durchhalteparolen aus.
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Berlin/Wien. Der Ort ist derselbe geblieben, doch dreieinhalb Monate später ist der Zauber verflogen. Gequält lächelt SPD-Parteichef Martin Schulz am Montag, als er Hannelore Kraft einen rot-weißen Blumenstrauß in die Hand drücken muss. Es ist der übliche Fototermin am Tag nach einer Wahl, die Sozialdemokraten haben soeben ihre selbst ernannte "Herzkammer" Nordrhein-Westfalen an die CDU verloren. Bedrückt schauen die Noch-Ministerpräsidentin und Parteigranden, die in der zweiten Reihe hinter Schulz und Kraft im Berliner Willy-Brandt-Haus platziert sind. Ende Jänner dagegen kannte der Jubel in der Berliner Parteizentrale keine Grenzen, als Martin Schulz seine erste Pressekonferenz als Kanzlerkandidat der SPD gab. Anhänger hielten damals Schulz-Plakate hoch, die grafisch an Barack Obamas berühmtes "Hope"-Poster anknüpften. "Jetzt ist Schulz" lautete ein anderer Slogan.
Nun aber, vier Monate vor der Bundestagswahl, ist das Horrorszenario für die SPD eingetreten. Die Landtagswahlen im Saarland Ende März, in Schleswig-Holstein vor einer Woche und in Nordrhein-Westfalen am Sonntag, gingen verloren. Das CDU-regierte Saarland zurückzuerobern, wäre aus Sicht der SPD nur die Kür gewesen, gelang aber ohnehin nicht. Mit dem Verlust von gleich zwei Ministerpräsidentenposten - in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen - schaffte die SPD jedoch nicht einmal die Pflichtaufgaben. Im NRW genannten Bundesland steht die Partei nun ohne Führung da. Nach dem schlechtesten Ergebnis seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat Ministerpräsidentin Kraft alle Ämter zur Verfügung gestellt. Die Basis im tiefroten Westen ist demoralisiert. Schafft es die Partei nicht, die Funktionäre dort wieder aufzurichten, kann sie die Bundestagswahl gleich abschreiben, schließlich lebt jeder fünfte wahlberechtigte Deutsche in NRW.
SPD kündigt "konkrete Vorschläge" an
Durchhalteparolen waren daher von Schulz abwärts in roter Munde: "Die (Zeit bis zur Wahl am 24. September, Anm.) ist steinig, und die wird hart werden. Aber die SPD ist eine kampferprobte Partei", sagte Schulz bei der Pressekonferenz. Kurz zuvor, im Parteivorstand, ernannte sich der Vorsitzende zum "Streetfighter". Kampfeslustig gab sich am Montag insbesondere SPD-Vize Ralf Stegner. Der Vertreter des linken Flügels griff Kanzlerin Angela Merkel an: "Schulz hat in vier Monaten mehr Konkretes gesagt als Merkel in zwölf Jahren Kanzlerschaft", raunte er in Anspielung auf die Kritik, Martin Schulz sei beim SPD-Wahlkampfthema Nummer eins, soziale Gerechtigkeit, bisher viel zu vage geblieben.
Dass Schulz hier Nachholbedarf hat, weiß die SPD aber nur zu gut. Der Kanzlerkandidat kündigte daher am Montag "sehr konkrete Vorschläge" an. Zudem soll Schulz am Donnerstag eine Grundsatzrede zur Bildungspolitik halten. In einem Mitgliederbrief ruft Schulz den Zweikampf aus: "Ab jetzt heißt es, Angela Merkel oder ich."
Die Herausgeforderte reagierte am Montag gelassen. In typischer Merkel-Manier reklamierte sie Themen anderer Parteien für sich, soziale Gerechtigkeit nannte die Kanzlerin "ganz wichtig". Es müsse aber anders als von der SPD gefordert nicht erst um Gerechtigkeit und dann um Innovation gehen, sondern zuerst um Innovation und daraus müsse sich Gerechtigkeit entwickeln. Merkel verfiel wieder einmal nicht in Euphorie, sondern blickte Richtung Bundestagswahl. "Solide Haushaltspolitik" stehe dabei im Vordergrund, dazu Generationengerechtigkeit, Europapolitik sowie innere und äußere Sicherheit.
Die Integration von Flüchtlingen wollen die Konservativen ebenfalls thematisieren und nicht der nationalkonservativ-populistischen AfD überlassen. Merkel ermahnte hier ihre Union, nicht wieder in alte Streitigkeiten zurückzufallen: Die CDU müsse in den kommenden Monaten nun genauso geeint auftreten wie in den Landtagswahlkämpfen. In der Vergangenheit war dies weniger ein Problem innerhalb der CDU als mit der bayerischen Schwester CSU. Doch seitdem Ministerpräsident Horst Seehofer die öffentlichen Attacken gegen Merkels Flüchtlingskurs eingestellt hat und das Thema von weltpolitischen Turbulenzen überlagert wurde - von Donald Trumps Irrlichtern bis zur Sorge um eine Präsidentin Marine Le Pen - sitzt Merkel fester denn je im Sattel. Noch dazu verteidigten ausgerechnet alle erfolgreichen CDU-Spitzenkandidaten bei den drei Landtagswahlen 2017 stets Merkels Flüchtlingspolitik. Auch behielt die Kanzlerin Recht damit, dass sie trotz der blendenden Umfragewerte von Martin Schulz in den Wochen nach dessen Ernennung zum SPD-Kanzlerkandidaten kühlen Kopf behielt und nicht auf Forderungen ihrer Partei einging, frühzeitig in den Wahlkampfmodus zu schalten.
Drei Viertel sagen, dank Merkel gehe es Deutschland gut
Im Februar überflügelte Schulz gar Merkel bei der hypothetischen Frage, wer Kanzler werden soll, wenn eine Direktwahl möglich wäre. Mittlerweile führt Angela Merkel wieder mit 49 zu 36 Prozent. Auch liegt die SPD nach dem Zwischenhoch im ersten Quartal wieder zehn Prozentpunkte hinter der Union, die derzeit mit 37 Prozent der Stimmen rechnen kann.
Noch mehr für Merkel und gegen Schulz sprechen zwei weitere Zahlen aus dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend: Fast drei Viertel aller Befragten bejahen die Aussage, die Politik der Kanzlerin habe dafür gesagt, dass es den Deutschen so gut gehe. Für die Bürger scheint somit die Rekordbeschäftigungsquote von 43 Millionen sozialversicherungspflichtigen Jobs mehr zu zählen als das Heer an Teilzeitbeschäftigten, Leiharbeitern und sogenannten Minijobbern. Unter diesen Umständen wird es die SPD sehr schwer haben, ihr Thema soziale Gerechtigkeit an Mann und Frau zu bringen. Die Botschaften ihres Kanzlerkanidaten verfangen bisher offensichtlich nicht. 66 Prozent der Befragten geben an, es sei ihnen nicht klar, welche Politik Martin Schulz umsetzen will.
In Nordrhein-Westfalen könnten die Genossen nun in jener Regierungsform landen, der sie im Bund entkommen möchten: als Juniorpartner einer schwarz-roten Koalition. Möglich ist auch ein Bündnis der CDU mit der wiedererstarkten FDP. Aber beim Thema innere Sicherheit, das im NRW-Wahlkampf eine große Rolle gespielt hatte, sind Schwarz und Gelb einander nicht grün. Für die Öko-Partei droht der Absturz im Westen ein Vorgeschmack auf die Bundestagswahl zu sein. Die Grünen haben in Cem Özdemir zwar einen beliebten Co-Parteivorsitzenden, aber kein zündendes Thema. Auch für die AfD bleibt 2017 ein schwieriges Jahr. Zwar ist sie souverän in den Düsseldorfer Landtag eingezogen, von Erfolgen wie im Vorjahr jedoch weit entfernt. Daran wird sich auch im Bund nichts ändern, solange die Flüchtlingspolitik ein untergeordnetes Thema bleibt und die CSU Merkel zähneknirschend folgt. Nach jetzigem Stand könnten nur Querschüsse aus der eigenen Partei eine vierte Amtszeit der Kanzlerin gefährden.