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Albanien bereitet sich auf Wahl vor

Von WZ-Korrespondent Christian Wehrschütz

Europaarchiv

Dauerkonflikt zwischen Sozialisten und konservativem Ministerpräsidenten. | Untersuchungen der Ausschreitungen in der Vorwoche im Gange. | Tirana. Unter Trauermusik zogen am Freitag tausende Albaner schweigend vom Skenderbeg Platz zum Gebäude der Regierung. Der Trauerzug führte über die Prachtstraße in Tirana mit dem vielsagenden Namen "Boulevard der nationalen Märtyrer".


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Ziel und Umkehrpunkt des Zuges waren drei mehr als mannshohe Porträts der drei Männer, die vor einer Woche bei Ausschreitungen erschossen worden sind. Die Männer standen vor dem Regierungsgebäude, das Demonstranten zu stürmen versuchten. Beim Gebäude stand nun diese Bildwand.

Starke Polizeikräfte sicherten den Sitz des Ministerpräsidenten, und die Stimmung im Gebäude selbst war angespannt und nervös. Die Polizei hatte in der Vorwoche ebenfalls viele Verletzte zu beklagen, und ein Polizist soll noch in Lebensgefahr sein.

Doch diesmal verlief in Tirana alles friedlich. Die Teilnehmer des Trauerzuges legten an drei kleineren Portraits der Toten Blumen nieder, berührten oder küssten die Bilder und entzündeten Kerzen. Angeführt hat den Zug Edi Rama, Bürgermeister von Tirana und Vorsitzender der sozialistischen Partei Albaniens. Die war auch der Organisator des Zuges und hatte ihre Anhänger aus dem ganzen Land mit Bussen nach Tirana gebracht.

Druck von EU und USA

Ramas Dauerkonflikt mit dem konservativen Ministerpräsidenten Sali Berisha hat sich in den knapp zwei Jahren seit der Parlamentswahl derartig aufgeschaukelt, dass ein solch tödlicher Vorfall nicht völlig unerwartet kam. Entscheidend wird es daher sein, ob unter dem Druck von USA und EU die politischen Spannungen in Albanien entschärft werden können. Untersuchungen der Ausschreitungen und der Umstände des Todes der Demonstranten sind unter Beteiligung von Experten aus den USA im Gange. Ob es brauchbare Ergebnisse geben wird, bleibt aber abzuwarten.

Politisch sind die Fronten zwischen Berisha und Rama jedenfalls völlig festgefahren. Die beiden Politiker können einfach nicht miteinander, und der Krieg der Worte wird schon bald wieder voll in Gang kommen. Die konservative Regierung geht davon aus, dass Rama etwa 300 Rowdys engagiert und bezahlt hat, um das Regierungsgebäude zu stürmen, in dem Berisha anwesend war. Rama weist das zurück, doch eine Vertrauensbasis ist zwischen Regierung und Opposition nicht gegeben. Die Sozialisten beschuldigen Berisha das Wahlbetruges und haben die Arbeit des Parlaments monatelang gelähmt. Andererseits hat auch Berisha wiederholt verbal Öl ins Feuer gegossen. Immerhin hat er aber unter dem Druck des Westens eine für Samstag geplante Demonstration abgesagt.

Albaniens größtes Problem ist wohl ein massiver Mangel an Streitkultur. Der politische Dauerkonflikt kann sich auch negativ auf die Wirtschaft des Landes auswirken. Ausländische Investoren werden verunsichert, und Albanien droht viel Kredit zu verspielen, der dem Land immerhin die Nato-Mitgliedschaft und die Visafreiheit in die EU beschert hat. Entscheidend wird es sein, ob es unter internationalem Druck gelingt, die politische Lage soweit zu stabilisieren, dass es bis zum Mai friedlich bleibt.

Da finden nämlich Lokalwahlen statt, und faire und freie Wahlen sind für weitere Fortschritte bei der Annäherung an die EU enorm wichtig. Denn vieles bleibt noch zu tun - dazu zählen die Justizreform, der Kampf gegen die Korruption auch in der Hauptstadt und vor allem die tatsächliche Umsetzung von Gesetzen. Bis zum Mai stehen Albanien jedenfalls noch schwierige Zeiten bevor.