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Albtraum Sudan

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Ägyptens Rolle im Nachbarland ist - nicht zuletzt wegen eigener ökonomischer Probleme - zwiespältig.


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Sabah Sanhouri hat Todesangst. Ihre Wohnung in Khartum liegt in einem Viertel in der Nähe des Flughafens, wo auch ausländische Diplomaten wohnen und wo heftige Kämpfe stattfinden. Die Häuser dort werden direkt von den Milizen der RSF (Rapid Support Forces) angegriffen, Plünderungen finden statt. Es sei nirgends sicher, schreibt sie auf Whatsapp. Das Internet bricht immer wieder zusammen, Telefon geht gar nicht mehr, Strom und Wasser sind knapp, die Gesundheitsversorgung kollabiert.

Fast drei Wochen lang tobt ein erbitterter Kampf zweier Generäle um die Macht im Sudan. Nun hat es Sabah wenigstens geschafft, zusammen mit ihrer Mutter die Hauptstadt zu verlassen. Sie befände sich in einer Kleinstadt außerhalb von Khartum. Mehr will sie nicht schreiben, denn sie fühlt sich bedroht - und zwar von beiden Konfliktparteien, der sudanesischen Armee sowie den rivalisierenden RSF-Milizen gleichermaßen.

"Eine deprimierende Wolke"

Die 32-jährige Schriftstellerin war Mitglied der Protestbewegung und dafür soll sie nun büßen. Als Sanhouri im September nach Berlin zum Literaturfestival kam, um ihren Roman "Paradise" vorzustellen, gab es noch Hoffnung. Massenproteste hatten 2019 zum Sturz des langjährigen Diktators Omar Al-Baschir geführt. Seitdem ringen im Sudan militärische und zivile Kräfte um die Macht. Die rund 30 Jahre unter dem "wirklich sehr islamistischen Baschir-Regime" bezeichnet die Autorin als "eine riesige deprimierende Wolke".

Ihr Roman ist vor der Protestbewegung geschrieben, aber heute aktueller denn je. "Paradise" ist eine Suizidagentur in Khartum, die Lebensmüden hilft zu sterben. Satire und Gesellschaftskritik zugleich, beschreibt Sanhouri die gesellschaftlichen Ereignisse, "dass der Staat, die Regierung und die Situation im Sudan zu Suizid und Mord führen".

Das unter UN-Vermittlung geschlossene Abkommen im Dezember, drei Monate nach Sabahs Auftritt in Berlin, wurde von der Zivilgesellschaft von Anfang an mit Skepsis begleitet. Demnach sollten General Abdel Fattah al-Burhan von der sudanesischen Armee und Milzenchef Hamdan Dagalo, den alle Hemeti nennen, zwei Jahre lang an der Spitze des Staates stehen und danach die Macht an die Zivilgesellschaft übergeben, nachdem Wahlen abgehalten wurden. Dass die Generäle tatsächlich nach zwei Jahren die Macht an Zivile abgeben würden, schien für viele zweifelhaft. Trotzdem wollte man an dem Strohhalm festhalten.

Nun bekämpfen sich die Militärs gegenseitig und die Zivilgesellschaft flieht. Über 500.000 Sudanesinnen und Sudanesen haben wie Sabah Sanhouri bereits die Flucht ergriffen. Die meisten versuchen in die Nachbarländer zu fliehen. Allein in Ägypten sollen inzwischen über 40.000 angekommen sein, schreibt die amtliche Tageszeitung Al Ahram. Immer wieder werden Feuerpausen verkündet und wieder gebrochen.

Beide Parteien wollen bis zum bitteren Ende kämpfen. Wie das Ende aussehen soll, darüber herrscht Ratlosigkeit. Armeechef Burhan sei in einer schwierigen Position, schreibt Al Ahram. Sollte er den Kampf gegen den Milizenchef verlieren, müsste er seine Position in der Armee aufgeben. Sollte Hemeti verlieren, würde er alle Privilegien, die ihm vom gestürzten Diktator Bashir vor zehn Jahren übertragen wurden, als dieser ihn zum paramilitärischen Kämpfer an der Seite der sudanesischen Armee in Darfur ernannte, einbüßen.

Die Armee ist die stärkere Kraft

Ali al-Sherif, ein sudanesischer Diplomat am Sitz der Arabischen Liga in Kairo erklärt den Zwist der beiden Generäle so: "Der Kampf zwischen Burhan und Dagalo geht um zwei Dinge, die Integration der Milizionäre in die sudanesische Armee und die endgültige Führung der vereinten Streitkräfte." Der Milizenchef wolle eine Übergangsphase von zehn Jahren mit gemeinsamer Führung. Eine fragmentierte Armee sei jedoch für Burhan inakzeptabel, so Sherif.

Außerdem ginge es bei dem Konflikt um Ressourcenkontrolle, die im nationalen Interesse liegen müsse. Einzig die sudanesische Armee könne gewährleisten, dass die territoriale Integrität und Stabilität Sudans erhalten bliebe.

Die ägyptische Position sei entsprechend, sagt der sudanesische Diplomat im Gespräch. Angesichts des Kräfteverhältnisses sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Armee die Oberhand gegenüber der RSF erlangen könne. Allerdings wage er keine Prognose, wie lange es dauern werde. "In der Zwischenzeit bezahlt die sudanesische Zivilbevölkerung einen hohen Preis."

Die Position Ägyptens indes ist nicht so eindeutig wie es al-Sherif beschreibt. Zwar werde eine militärische Intervention im Nachbarland diskutiert, sagt ein früherer Offizier der ägyptischen Luftverteidigung, der seinen Namen nicht offiziell nennen möchte. Doch sei dies die letzte Option, nachdem alle diplomatischen Kanäle ausgereizt sind. Nachdem auf einen ägyptischen Diplomaten in Khartum geschossen wurde und 27 ägyptische Soldaten von den RSF-Milizen gefangen genommen wurden, hält sich Kairo bedeckt. Durch die Intervention der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) konnten alle 177 ägyptischen Soldaten, die sich für ein gemeinsames Manöver mit der sudanesischen Armee auf dem Luftwaffenstützpunkt Merowe aufhielten, nach Ägypten zurückkehren.

Ägyptens Dilemma

Das Dilemma, in dem Ägypten steckt, zeigt sich hier deutlich. Während Abdel Fattah al-Sisi in Kairo seinen Namensvetter Abdel Fattah al-Burhan in Khartum schon seit Langem unterstützt, halten Saudi Arabien und die VAE zu Dagalo. Ägyptens schwierige ökonomische Situation ist jedoch auf Finanzhilfen der Saudis und Emiratis angewiesen. Ohne die Milliarden vom Golf wäre Kairo pleite.

Sabah Sanhouri möchte nur noch raus aus dem Sudan. Auf ihrer Whatsapp-Seite trägt sie wieder Kopftuch, nachdem sie es selbstbewusst abgelegt hatte. Ihr Verleger in Berlin macht sich Sorgen. "Sie ist traumatisiert", weiß Tim Mücke, "ich versuche sie nach Deutschland zu holen". Bei dem Projekt "Writers in Exile" - Schriftsteller im Exil - des PEN Zentrums, hat er bereits einen Platz für sie reservieren können.