Französische Regierung möchte Handel liberalisieren. | Neues Gesetz begünstigt Diskonter. | Wien. Wer in Straßburg den Rhein überquert und in Deutschland ankommt, staunt zunächst über die riesige Anzahl der Diskontmärkte im kleinen Städtchen Kehl. Doch es sind kaum Deutsche, die hier einkaufen, sondern größtenteils Franzosen. Der Grund dafür: Die Lebensmittelpreise liegen in Deutschland deutlich unter jenen in Frankreich.
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Durch verschiedene den Handel hemmende Gesetze der sozialistischen Regierung der 90er Jahre, die ursprünglich die Klein- und Mittelbetriebe schützen sollten, sind die Preise in Frankreich insgesamt hochgehalten worden. Gleichzeitig haben sich dadurch allerdings in Frankreichs Innenstädten viele kleinere Händler erhalten - ein Straßenbild, das so in Österreich schon länger nicht mehr existiert.
Trotzdem ist Frankreich innerhalb Europas als das Land der Großflächen im Lebensmittelhandel bekannt. Diese sind hauptsächlich außerhalb der Stadtgrenzen angesiedelt. Elf Prozent der insgesamt 38.000 Lebensmittelgeschäfte in Frankreich haben eine Verkaufsfläche von mehr als tausend Quadratmetern. Vom Umsatzkuchen holt sich diese Gruppe der Hyper- und Verbrauchermärkte sogar fast achtzig Prozent das ist mehr als dreimal soviel wie in Österreich.
Diskonter unbedeutend
"Die Diskonter spielen in Frankreich im Vergleich zu Deutschland und Österreich hingegen noch eine untergeordnete Rolle", erklärt Irene Salzmann, Sprecherin des Beraterunternehmens Nielsen, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Nur etwa zehn Prozent der Umsätze entfallen auf die Billig anbieter. Im Vergleich dazu liegt der Diskontanteil in Österreich bei mehr als dreißig Prozent.
Die Anzahl der Diskonter in Frankreich könnte jedoch schnell ansteigen, denn am Dienstag hat die französische Nationalversammlung ein umfassendes Gesetz zur Modernisierung der Wirtschaft beschlossen, das umfassende Maßnahmen zur Liberalisierung des Handels vorsieht. Es wurde gegen den Widerstand der Linksparteien verabschiedet. Das neue Gesetz erleichtert die Ansiedlung von Billigmärkten wie den deutschen Diskontketten Lidl und Aldi in den Städten und die Gründung von Kleinstunternehmen. Damit soll das Wachstum um 0,3 Prozent im Jahr beschleunigt und die auch in Frankreich stark steigenden Preise gesenkt werden. Die Regierung verspricht zudem ab 2009 jährlich 50.000 zusätzliche Arbeitsplätze.
Der sozialistische Abgeordnete François Brottes kritisierte insbesondere, dass wesentlich größere Lebensmittelmärkte erlaubt sein werden. Deren Preisverhandlungen mit den Lieferanten würden künftig ein "liberales und antisoziales Festival". Die Regierung wolle die Ärmsten der Armen bedrängen und die Arbeitnehmer verelenden lassen, so Brottes.
Carrefour hocherfreut
Zumindest den größten französischen (und europäischen) Lebensmittelkonzern Carrefour dürfte das neue Gesetz in der Tat in Feierstimmung versetzen, ist doch mit dem neuen Gesetz auch das Verbot von Mengenrabatten gefallen, das vor allem die starke Bauernlobby schützen sollte. Stephanie Sellam, Sprecherin von Carrefour, meinte zur "Wiener Zeitung": "Dieses Gesetz dürfte den Wettbewerb zwischen Herstellern und Händlern begünstigen. Alles, was den Wettbewerb unterstützt, ist gut für den Konsumenten, aber auch für die Industrie und den Handel. Carrefour steht diesem Gesetz im Großen und Ganzen positiv gegenüber."
Freilich ist der Hauptaktionär von Carrefour, Bernard Arnault, der ehemalige Trauzeuge des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Einmal mehr könnte in Frankreich die unsichtbare Hand also der Staat sein. Die zuletzt schwächelnde Carrefour-Aktie sollte so auch wieder steigen.
Zu den Verlierern des neuen Gesetzes gehören vor allem die Zulieferer und die Klein- und Mittelbetriebe, meinte der Wirtschaftswissenschaftler Philippe Askenazy im Interview mit der Tageszeitung "Le Monde". "Wenn die kleinen Händler einmal tot sind, wird es zu einer Konfrontation zwischen Großindustrie und Großhandel kommen." Die Preise könnten dann ein höheres Niveau erreichen, als sie jetzt schon haben.