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Algerien steht vor einer harten Prüfung

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter.

Die Hoffnung auf eine Arabische Revolution durch die Wahlen hat sich zerschlagen - aber vielleicht ist es auch im Grunde besser so.


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Die Begeisterung vor den Parlamentswahlen, die vorige Woche in Algerien stattfanden, hielt sich - zumindest bei westlichen Beobachtern - in Grenzen. Einen Arabischen Frühling hatten sich viele erhofft, bis am Donnerstagabend feststand, dass alles beim Alten bleiben sollte. Eine Wahlbeteiligung von kaum mehr als 42 Prozent spricht nicht unbedingt für demokratische Verhältnisse, und trotzdem ist der Sieg der Nationalen Befreiungsfront (FLN) besonders für liberale Kräfte eine große Erleichterung. Die Renaissance islamisch-geprägter Parteien in der algerischen Regierung blieb diesmal zwar aus, doch in den neuen Führungseliten der Nachbarländer ist sie schon längst im Gang. Davor die Augen zu verschließen wäre ein besonders schwerwiegender Fehler für Europa, das mit Algerien vor allem in Energiefragen (Wüstenstrom und Erdöl) eine enge Nachbarschaftspolitik verbindet.

Der Staat in Nordafrika, der auf 132 Jahre Kolonialisierung durch Frankreich und einen blutigen Bürgerkrieg in den 1990ern zurückblickt, nimmt gerade wegen dieser schmerzhaften Erfahrungen eine isolierte Position zwischen den Nachbarn Marokko, Tunesien und Libyen ein. Ein Schuldbekenntnis Frankreichs gab es bisher nicht. Auch auf die Zahl der im Unabhängigkeitskrieg (1954 bis 1962) getöteten Algerier konnten sich beide Parteien nicht einigen: Frankreich spricht von 350.000, Algerien von mehr als 1,5 Millionen Opfern. Ein weiterer schwerer Schlag in den Beziehungen beider Länder war das unter dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy verabschiedete "Gesetz vom 23. Februar 2005", das die "positive Rolle der französischen Kolonisierung" betonte und die Grande Nation von den Fehlern der Vergangenheit freisprach.

Mit seiner FLN hat Ahmed Ben Bella, Algeriens erster Präsident, die Unabhängigkeit von Frankreich erkämpft und sein Land gegen den Kolonialismus und die imperialen Bestrebungen der Supermächte USA und Russland verteidigt. In dieser entscheidenden Phase des arabischen Nationalismus gab es allerdings Kräfte, die radikal-islamische Gesellschaftsvorstellungen durchsetzen wollten. Noch immer hängt der dunkle Schatten des Bürgerkriegs über Algerien, wenngleich die islamistische Heilsfront FIS zerschlagen wurde und sich in Splittergruppen aufgelöst hat.

Bei den jetzigen Parlamentswahlen verfehlte die "Grüne Allianz" aus drei islamischen Parteien den zweiten Platz. Die ideologische Richtung dieser Fraktionen ist nicht klar einzuschätzen, ein harmonisches Verhältnis mit dem Westen sollte man aber trotz aller Beteuerungen einer gemäßigten Positionierung nicht voraussetzen. Mit ihrer Israel-feindlichen Haltung könnten Parteien wie die (in Tunesien erfolgreiche) Ennahda alle Hoffnungen, die die USA und Europa mit dem Arabischen Frühling verbunden haben, zunichtemachen. Außerdem könnte sich ein solcher politischer Wandel nachteilig auf die Wirtschaftsbeziehungen mit Europa auswirken.

So gesehen ist es vielleicht besser, wenn Algerien nie in einem Arabischen Frühling erwacht.