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All you need is love

Von Ulrich H.J. Körtner

Gastkommentare

Papst Franziskus träumt in Zeiten von Corona von einer neuen Weltordnung.


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John Lennon, der am 8. Dezember 1980 einem Attentat zum Opfer fiel, wäre am 9. Oktober 80 Jahre alt geworden. Fünf Tage vorher veröffentlichte der vier Jahre ältere Papst Franziskus seine neue Enzyklika "Fratelli tutti". Das Zusammentreffen ist natürlich Zufall, aber Lennon hätte ganz gut in die Reihe der Persönlichkeiten gepasst, von denen sich Franziskus dem eigenen Bekunden nach hat inspirieren lassen: Franz von Assisi, Desmont Tutu, Mahatma Ghandi und Martin Luther King.

In Zeiten von Corona träumt der Papst von einer neuen Weltordnung, die von Liebe, Geschwisterlichkeit und "sozialer Freundschaft" geprägt ist. Seine Worte sollen wohl ein wenig an Martin Luther Kings berühmte Rede "I have a dream" erinnern, die dieser 1963 beim Marsch auf Washington gehalten hat. Aber wenn Franziskus gleich die ganze Menschheit aufruft, gemeinsam mit ihm von einer schönen neuen Welt zu träumen, kommt einem eher John Lennons Song "Imagine" in den Sinn. Bei John Lennon klingt das so: "You may say I’m a dreamer / but I’m not the only one. / I hope someday you will join us / And the world will be as one."

Liebe als treibende Kraft in Politik und Gesellschaft

Anschließen sollen sich alle Menschen guten Willens, gleich welcher Religion oder Weltanschauung, die bereit sind, sich fortschreitend der universalen Liebe und Friedfertigkeit zu öffnen. Liebe soll nicht nur auf der individuellen Ebene, sondern auch in Politik und Gesellschaft die treibende Kraft sein. "Politische Liebe" oder "politische Nächstenliebe" sei keine Utopie, sondern "das Herzstück der Politik". Wie haben schon John Lennon und die Beatles im Jahr 1967 gesungen: "All you need is love!" Bei Papst Franziskus liest sich das im Jahr 2020 so: "Die Liebe kann mit ihrer universalen Dynamik eine neue Welt aufbauen."

Diese Enzyklika ist sozialethisch und politisch unterkomplex. Auch theologisch gibt sie nicht viel her. "Auch in der Politik gibt es Raum, um mit Zärtlichkeit zu lieben": Das ist religiöser Kitsch. Franziskus schlägt alle Probleme der Welt über den Leisten des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter und übergeht dabei die Unterschiede zwischen Individualethik, Sozialethik und einer Ethik des Politischen. Der Staat ist nicht der barmherzige Samariter. Nicht Liebe und Barmherzigkeit, sondern Gerechtigkeit, Herrschaft des Rechts und Sicherheit sind seine Aufgabe. Grundkategorie des Politischen ist nicht allein der Konsens - schon gar nicht Harmonie -, sondern auch der Konflikt. Die päpstliche Mahnung, dass wir alle in einem Boot sitzen, ist so trivial wie zweischneidig. Wenn kein Land und keine Rettung von außen in Sicht sind, kommt es unter den Schiffbrüchigen irgendwann zum Hauen und Stechen. Eine theologische Perspektive der Hoffnung, die über das Irdische hinausreicht, fehlt.

Ideologisch verengte Kritik, freischwebende Sozialutopie

Dass der Papst einmal mehr Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit anprangert, ist gut und richtig. Seine Pauschalkritik am "Globalismus" und Marktwirtschaft ist jedoch ideologisch verengt, seine Sozialutopie freischwebend. In friedenspolitischen Fragen neigt der Papst einem radikalen Pazifismus zu. Zwar zitiert er den Katechismus der Katholischen Kirche, der mit der Möglichkeit einer legitimen Verteidigung mit militärischer Gewalt rechnet. Damit tut sich Franziskus schwer. Er spricht undifferenziert von Krieg und macht sich nicht die Mühe, auf die sicherheitspolitischen und friedensethischen Diskussionen über rechtserhaltende Gewalt als Ultima Ratio einzugehen. Der Papst hält es für "sehr schwierig, sich auf die in vergangenen Jahrhunderten gereiften rationalen Kriterien zu stützen, um von einem eventuell ‚gerechten Krieg‘ zu sprechen".

Maßlos übertriebenes Lob des Großimam für den Papst

Dabei greift doch die Lehre vom gerechten Frieden, die inzwischen gleichermaßen von evangelischen Kirchen wie von der römisch-katholischen Kirche vertreten wird, genau auf diese Kriterien zurück. In der schönen neuen Welt des Papstes ist jedes Militär überflüssig. "Und mit dem Geld, das für Waffen und andere Militärausgaben verwendet wird, richten wir einen Weltfonds ein, um den Hunger ein für alle Mal ein Ende zu setzen und die Entwicklung der ärmsten Länder zu fördern, damit ihre Bewohner nicht zu gewaltsamen oder trügerischen Lösungen greifen oder ihre Länder verlassen müssen, um ein menschenwürdigeres Leben zu suchen." Das ist nicht nur politisch illusorisch, sondern auch friedensethisch fahrlässig, weil sich der Papst die Welt schönredet und seine utopische neue Welt theologisch nicht vom Reich Gottes zu unterscheiden weiß.

Franziskus sucht den Schulterschluss mit dem orthodoxen Patriarchen Bartholomaios und mit der islamischen Welt in Gestalt des Großimam Ahmad Al-Tayyeb von der Al-Azhar-Universität in Kairo. Manche feiern die neue Enzyklika als Meilenstein im christlich-islamischen Dialog. Der politische Islam, den Länder wie Saudi-Arabien, der Iran oder die Türkei verbreiten, bleibt freilich ausgespart. Dabei ist er nicht ein Teil der Lösung, sondern der globalen Probleme von heute. Der Großimam streut dem Papst seinerseits Rosen: Er habe der Welt das Gewissen zurückgegeben. Das ist maßlos übertrieben. Auch sonst wird dieser Papst gern überschätzt.