Grüne Bewegung ortet neuen Auftrieb durch Mubaraks Rücktritt. | Gül kritisiert bei Besuch Bürgerferne von Regimen. | Teheran/Wien. Betont herzliche Gesten, ein ausgiebiges Rahmenprogramm und viel Lob für die bilaterale Freundschaft: Der Iran nutzt den viertägigen Besuch des mit allen Ehren empfangenen türkischen Staatspräsident Abdullah Gül, um der Welt seine regionale Bedeutung zu demonstrieren. Gül, der seit Sonntag im Gottesstaat weilt, hat eine 100-köpfige Wirtschaftsdelegation, neue Vorschläge als Mediator im Atomstreit und einen Plan zum massiven Ausbau der bilateralen Beziehungen im Gepäck.
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Das Nato-Mitglied Türkei will die ökonomische Zusammenarbeit mit dem Nachbarland ungeachtet des Atomstreits rasch vorantreiben. So soll das Handelsvolumen in den kommenden Jahren auf 30 Milliarden Dollar klettern. Im Atomstreit will die Führung in Istanbul sich weiterhin als Mediator dafür einsetzen, dass trotz der jüngsten gescheiterten Gespräche der Dialog als Grundlage für einen Konsens dient.
Die Entwicklung in Ägypten und in der arabischen Welt und die Menschenrechte wurden bei seiner Unterredung mit Präsident Mahmoud Ahmadinejad nur am Rande angesprochen. Bei aller Freundschaft konnte sich der türkische Gast bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Ahmadinejad einen kleinen Seitenhieb in Bezug auf die Entwicklung im Nahen Osten dennoch nicht verkneifen: Es sei wichtig, dass Staaten rechtzeitig auf die Stimme des Volkes hören und die notwendigen Maßnahmen veranlassen, sonst würde das Volk sich selbst zu helfen wissen, wie die jüngste Vergangenheit bewiesen habe, so Gül. Es war dies wohl nicht nur eine Anspielung auf Ägypten, sondern auch auf die Oppositionsproteste im Iran, die zur selben Zeit von den Milizen im Keim erstickt wurden.
Denn während das offizielle Teheran mit dem hohen Besuch aus Istanbul beschäftigt war, fanden am Montag trotz mehrerer Warnungen und Verbote erstmals nach Monaten wieder Proteste der sogenannten grünen Bewegung statt. Diese ortet einen neuen Auftrieb durch den Mubarak-Rücktritt in Ägypten.
Maulkorb für Opposition
Dabei hatten die Sicherheitskräfte, allen voran die paramilitärischen Bassij-Milizen, im Vorfeld alles getan, um der Opposition einen Maulkorb zu verpassen: Internet und Telefonverbindungen wurden gesperrt, oppositionelle Zeitungen eingestellt oder am Druck gehindert und die wichtigsten Köpfe der Bewegung, Mehdi Karroubi und Mir Hossein Moussavi unter Hausarrest gestellt und quasi von der Außenwelt abgeschottet. Der Zugang zum Haus von Moussavi wurde gesperrt und seine Internet und Telefonverbindungen gekappt.
Zu tumultartigen Szenen kam es im Stadtzentrum von Teheran. Tausende gingen trotz der massiven Polizeipräsenz auf die Straße. Auch aus der Stadt Isfahan wurden einige hunderte Demonstranten gemeldet. Generalstaatsanwalt Abbas Jafari Dolatabdi, der Polizei und die anderen Sicherheitsbehörden angewiesen hatte, gegen jeden Protest "mit aller Deutlichkeit einzuschreiten", machte seine Drohung wahr.
Wie eine Militärfestung
Mehrere überwiegend junge Menschen wurden mit Schlagstöcken niedergeknüppelt. "Unsere Taschen und Mobiltelefone wurden uns aus der Hand gerissen, sie drängten uns in Seitengassen und begannen auf uns einschlagen. Ich konnte mich in letzter Sekunde in ein Taxi retten", berichtet Shahrzad G. aus dem Stadtteil Vanak im telefonischen Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Viele Leute sollen auch "Lieber Gott, du hast Ägypten geholfen, hilf auch uns" gerufen haben. "Seit Monaten habe ich ein derart rigoroses, gewalttätiges Durchgreifen der Polizei nicht mehr erlebt. Sie schlagen drauf los, ohne einem die Chance zu geben, sich zu erklären. Die ganze Stadt gleicht einer Militärfestung, überall lauern sie und pöbeln uns an", empört sich auch Meisam. Schließlich sollen auf dem zentralen Freiheitsplatz sogar Schüsse gefallen sein. In den kommenden Tage will die Opposition weitere Kundgebungen abhalten.