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Alle Augen auf Hongkong

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

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Abgründe, wohin man blickt: Die Gefahr einer Eskalation im Atomstreit mit dem Iran bleibt akut. In den USA stellt sich die Frage, wie viele Massenmorde es noch benötigt, bis endlich allen klar ist, dass dieses Land ein massives Problem mit weißem Rassismus hat. Europa lässt sich unterdessen unbeirrt von Flüchtlingsschleppern und Brexit-Chaos aus dem Tritt bringen, während in Syrien weiter gemordet wird und Russland mit Lust reihum für Unruhe sorgt; und über allem schweben die apokalyptischen Prognosen der Klimawissenschaft, die jede Aussicht auf eine bessere Zukunft verstellen.

Dabei sollten alle Augen auf Hongkong gerichtet sein. In der ehemaligen britischen Kronkolonie, die als Sonderverwaltungszone längst das Finanzzentrum Chinas ist, droht der Kampf um die verbliebenden demokratischen Rechte zu eskalieren. Am Dienstag drohte die Regierung in Peking unverhohlen mit einer militärischen Niederschlagung der Proteste gegen die Regionalregierung.

Für beide Seiten geht es um viel, wenn nicht sogar alles. Und einem Spiel mit dem Feuer, das Peking den Demonstranten vorwirft, sieht sich auch die Regierung des Einparteienstaats gegenüber. Das nur noch offiziell kommunistische China arbeitet mit Hochdruck daran, nicht nur seine traditionelle Hegemonie in der eigenen Weltregion nach 200 Jahren Unterbrechung wiederherzustellen, sondern dabei auch einen allgemein respektierten Platz in der internationalen Gemeinschaft einzunehmen.

Beide Ziele sind hochgradig gefährdet, sollte das Blut der Demonstranten in Strömen fließen. All die Bemühungen von Staats- und Parteichef Xi Jinping, die erratischen Verirrungen der USA unter Donald Trump auszunutzen und China als verlässliche Stütze einer multilateralen Weltordnung zu inszenieren, wären mit einem Sturm auf Hongkong Makulatur. Der Große Vorsitzende stünde mit Blut an den Händen vor der Weltöffentlichkeit, das Bild von einem wenn auch nicht freundlichen, doch so zumindest friedlichen und kooperationswilligen Hegemon wäre auf lange Zeit zerstört.

Trotzdem kann die Regierung einer Diktatur nicht einfach tatenlos zusehen, wenn Protestierende einfordern, was sie nicht geben will: Meinungsfreiheit und Mitbestimmung. Wenn Peking in Hongkong nachgibt, könnte dies das erste Loch in der großen roten Mauer sein, das die Machtarchitektur der Kommunisten am Ende zum Einsturz bringt.

China steht womöglich früher an einem neuen Wendepunkt seiner Geschichte, als viele geglaubt haben. Möglich, dass die Mächtigen in Peking die Wut der Proteste mit Geduld geschickt ins Leere laufen lassen. Gewiss ist das aber beileibe nicht.