Auf Deutschlands politischer Bühne wird derzeit das Stück "Die Macht des Schicksals" von Verdi (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft) aufgeführt. Eine Streikwelle legt das Land lahm. Alle Räder stehen still, besonders in der Hauptstadt Berlin. Hier forciert Verdi zusätzlich den unbefristeten Streik bei den städtischen Verkehrsbetrieben: Busse, Straßen- und U-Bahnen fahren nicht.
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Nur die S-Bahn, die zur Deutschen Bahn gehört, fährt - noch. Doch ab Montag droht auch hier Stillstand. Die Lokführer streiken, weil die Deutsche Bahn den mit der Lokführergewerkschaft GDL ausgehandelten Kompromiss noch immer nicht unterschrieben hat. Die Bahn will zuerst einen Grundlagenvertrag, den lehnt jedoch die GDL ab, weil er der Gewerkschaft verbiete, in bestimmten Tochtergesellschaften als Arbeitnehmerorganisation aufzutreten.
Gerade zur Internationalen Tourismusbörse in Berlin und zur Cebit in Hannover - in ihrem Bereich jeweils die weltgrößten Messen - geht an den Flughäfen Frankfurt, München, Berlin, Köln/Bonn und Stuttgart nichts mehr. Allein bei der Lufthansa fielen bereits am Mittwoch mindestens 302 Flüge aus.
Die Berliner Verkehrsbediensteten wollen bis zu 12 Prozent mehr Lohn vom Land, mindestens plus 250 Euro im Monat. Der Senat bietet die Hälfte - angesichts notorisch leerer Kassen sind die Fronten starr.
Die bundesweiten, auf drei Tage befristeten Warnstreiks betreffen hingegen Angestellte des Bundes und der Kommunen. Hier fordern Verdi und Dbb Tarifunion (Deutscher Beamtenbund) acht Prozent - mindestens jedoch 200 Euro -, mehr Geld für Lehrlinge mit Übernahmegarantie nach der Lehrzeit und die Übertragung des Tarifergebnisses auf alle Beamten.
Die Hintergründe dieser Streiks liegen in den Umwälzungen der bundesdeutschen Gesellschaft: Die leeren Staatskassen und die üppige Personalausstattung der öffentlichen Hände zwangen die Politik als Arbeitgeber zu erheblichem Personalabbau und äußerster Lohndisziplin. So erhielten die 1,3 Millionen Betroffenen zuletzt vor vier Jahren eine Lohnerhöhung von einem Prozent. 2006 und 2007 gab es nur Einmalzahlungen (je 300 Euro).
Krankenschwestern, Polizisten, Altenpfleger, Müllmänner und Kindergärtner gehören keineswegs zu den Großverdienern. Die bessere Konjunktur und damit auch die höheren Steuereinnahmen wecken nun neue Begehrlichkeiten.
Aber auch die staatliche Rundumversorgung der Bürger stieß an ihre finanziellen Grenzen. Die Post ist privatisiert, der Energiesektor ebenfalls, im öffentlichen Nahverkehr und bei der Müllabfuhr gibt es immer mehr private Anbieter. Auch Krankenhäuser wie Kindergärten sind längst privat geführt. Das alte Argument der im Vergleich zur Privatwirtschaft höheren Arbeitsplatzsicherheit zieht also längst nicht mehr. Seite 26